Donizetti besticht durch glänzend melodische Erfindungsgabe

Donizetti, unbestrittener Herrscher der italienischen Oper

Von dem Dreigestirn der italienischen Opernkomponisten des 19. Jahrhunderts Rossini, Bellini, Donizetti war Letzterer der Produktivste. Auf über 70 Opern hat es der 1797 in Bergamo als Sohn eines Pfandhauspförtners Geborene innerhalb von 27 Jahren gebracht. Er verfügte über eine glänzend melodische Erfindungsgabe, die seinen Werken die Frische und Lebendigkeit verlieh, die das Publikum, das unterhalten werden wollte, von ihm erwartete.

Fünf Bühnenwerke pro Jahr waren anfangs die Norm. Nicht alle wurden gefeiert und lohnen es wiedererweckt zu werden. Der vielseitige Dramatiker, geniale Komponist mit dem erstaunlich umfangreichen Lebenswerk zeichnet sich aber nicht nur durch die große melodische Erfindungskraft und ein sichtbares Gefühl für effektvolle Bühnensituation aus, sondern auch durch eine zu Herzen gehende Tonsprache. Zuweilen glückte es ihm seine Figuren bis in die tiefsten seelischen Verästelungen musikdramatisch zu erfüllen. 1830 erreichte er mit „ANNA BOLENA den internationalen Durchbruch. Fünf Jahre später, nach dem Tod Bellinis und dem Rückzug Rossinis in das Privatlebens, war Donizetti unbestrittener Herrscher der italienischen Oper. Rom, Neapel, Mailand, Venedig, Genua, Turin Paris und Wien zählten zu den Stationen seiner musikalischen Eroberungszüge.

Mit LA FAVORITE setzt Donizetti in Paris den bisherigen Erfolg fort

Als am 2. Dezember vor 175 Jahren LA FAVORITE in der Pariser Opéra zur Uraufführung kam, war Gaetano Donizetti bereits 43 Jahre alt, weltberühmt und fast am Ende einer fulminanten Komponistenkarriere Der spektakuläre Erfolg seiner tragischen Oper LUCIA DI LAMMERMOORE lag bereits 5 Jahre zurück, war zum Innbegriff der Gattung geworden. Keines der nachfolgenden Werke führte über sie hinaus. Es waren die persönlichen Schicksalsschläge, die dem Meister nach 1835 die Schaffenskraft nahmen, der Tod der Eltern und seiner vergötterten Frau Virginia Vessali (1837). Dazu kam, dass die Oper POLIUTO in Neapel wegen ihres geistlichen Stoffes von der Zensur verboten worden war. So verließ der schwer getroffene Komponist Italien, um in Paris endgültig Fuß zu fassen.

Mit neuem Elan und leidenschaftlichem Temperament machte der geniale Tonsetzer sich nun in der Seine-Metropole, wo er auch mit Rossini zusammentraf, an die Arbeit, um an den bisherigen Erfolg anzuknüpfen, was ihm auch durchaus mit LA FILLE DU RÉGIMENT (bis 1950 erlebte die komische Oper in Paris 1000 Aufführungen), LA FAVORITE und DON PASQUALE gelingen sollte.

Entstehungsgeschichte von LA FAVORITE nicht unkompliziert

LA FAVORITE, wenige Monate nach LA FILLE DU REGIMENT entstanden, ist Donizettis Chef-d’Euvre der ernsten französischen Oper. Zu dem von Alphonse Royer, Gustav Vaez und Eugène Scribe verfassten Libretto nach Le Comte de Comminges schrieb Donizetti eine Musik, die sich gemäß der Dramaturgie der großen französischen Oper von Akt zu Akt steigert, um schließlich im letzten ihren Höhepunkt zu erfahren. Die Entstehungsgeschichte war nicht unkompliziert. Aus dem ursprünglich dreiaktigen Melodram für das Théatre de la Renaissance schuf der nun wieder überaktive Komponist in kürzester Zeit ein Meisterwerk in vier Akten mit französischem Text. Er griff dabei auf nicht weniger als vier seiner früheren Arbeiten, darunter auch LA FILLE DU REGIMENT, die sich bereits in der Ouvertüre nicht verleugnen lässt, zurück. Erst während der Proben fügte er die Arie des Fernand „spirito gentil“, eine „Perle der romantischen Arienliteratur“ aus seiner nie vollendeten Oper von 1839 LE DUC D’ALBE, in die Partitur ein. So ist die Legende, dass der 4. Akt von LA FAVORITE an einem Abend geschrieben wurde, vielleicht sogar wahr.

 Léonor de Guzman, die Favoritin, historisch verbürgt

Die Handlung greift einen historischen Stoff auf. Sie spielt im Spanien des 14. Jahrhunderts. Alphonse XI. von Kastilien und Léonor de Guzmann, die Favoritin, sind historisch verbürgte Personen. Die Geschichte erzählt von drei Menschen, deren gesellschaftlicher Stand die Entfaltung ihrer Gefühle nicht erlaubt, von einer Liebe, die durch falsch verstandene Ehre, Rache und Intrige zerstört wird, von dem Machtspiel zwischen Staat und Kirche, an dem die handelnden Personen zerbrechen müssen.

Kein Geringerer als Richard Wagner stellte als Brotarbeit den Klavierauszug her

Bereits ein Jahr nach der Pariser Uraufführung kam die Oper in Kassel auf die Bühne. Bis 1904 erfuhr sie in Paris 650 Aufführungen. Sie gab dem Meister für die wenigen ihm noch verbleibenden Lebensjahre, er starb 1848 in geistiger Umnachtung in seinem Geburtsort Bergamo, eine unangreifbare Ausnahmestellung.

In Cottbus erlebten wir die Originalfassung in französischer Sprache mit deutschen Übertiteln von Carola Böhnisch, die auch für Dramaturgie und ein aufschlussreiches Programmheft verantwortlich zeichnet.

Zeitloses Seelendrama in Cottbus

Warum die Oper LA FAVORITE im vorigen Jahrhundert so selten aufgeführt wurde und in kaum einem Opernbuch zu finden war, bleibt ein Frage. Ein Grund kann die etwas blutarme Handlung sein. Umso mehr ist es dem Intendanten des Cottbuser Staatstheaters, Martin Schüler, zu danken, das Werk auf den Spielplan gesetzt zu haben. Mit seiner auf Zurückhaltung bedachten, zeitlos angesetzten Regie, die ganz auf die Dramatik der Musik und auf die handelnden Protagonisten fokussiert ist, hat er ein Seelendrama auf die Bühne gebracht, das auch dem heutigen Zuschauer und Hörer etwas mit auf den Weg gibt. Es gelingt ihm mit einem vorzüglichen Sängerensemble, dem auf sparsame Effekte bedachten Bühnenbild von Hans-Holger Schmidt und den teilweise skurril anmutenden Kostümen von Susanne Suhr, die höfische Gesellschaft, die verletzten Gefühle enttäuschter und verbitterter Menschen mit Schärfe zu porträtieren, zu zeigen wie sie, von falschem Ehrgefühl, verkrusteten Moralvorstellungen, Rachegelüsten und Intrigen getrieben, durch gegensätzliche Machtkonstellationen zerrieben, aus ihrer Lebensbahn geworfen werden.

 Ein Sängerensemble, das sich hören lassen kann

Marlene Lichtenberg als Léonor de Guzmán, die Favoritin des Königs, überzeugte mit ihrer Darstellung einer gereiften Frau, die keinen Anspruch auf Selbstbestimmung hat, sich durch ein Heiratsversprechen an den König gebunden, von ihrer neuen Liebe getragen, von der höfischen Gesellschaft verachtet fühlt und letztendlich nur im Tod zu sich selbst findet. Das erinnerte in der Dramatik bereits an Verdis „Traviata“. Sie konnte aus persönlichen Gründen nur die Premiere singen. Ihre Partie übernahm in den weiteren Aufführungen Julia Rutigliano. Um sie in der Rolle zu erleben, wird mich wohl mein Weg erneut nach Cottbus führen.

Der seit dieser Spielzeit fest verpflichteten Tenor Alexander Geller, ein Glücksfall für die Stadt an der Spree, meisterte die anspruchsvolle Rolle des Fernand mit Bravour. Man nimmt ihm den jungen unerfahrenen und in Liebe entbrannten Novizen Fernand, der zum Hauptmann avanciert, letztendlich aus verletztem Ehrgefühl dieser Liebe nicht standhalten kann, uneingeschränkt ab..

Aufhorchen ließ auch auch Ciprian Marele, der, als Gast aus Rumänien, den in seiner Liebe und dem Machtstreben zerrissenen Alphonse XI, König von Kastilien, mit einer vornehmen Zurückhaltung verkörperte.

Es ist auch immer wieder ein Vergnügen Debra Stanley in ihrer Spielfreudigkeit und der makellosen Stimme, diesmal als Inès, Vertraute der Favoritin, zu erleben.

Der immer verlässliche Tenor Matthias Bleidorn gab dem höfischen Intriganten Don Caspar eine körperlich wie sängerisch eindringliche Gestaltung..

Ingo Witzke überzeugte in der mächtigen Würde des Priors Balthazar.

Nicht zuletzt haben auch der Dirigent Ivo Hentschel und das Philharmonische Orchester dazu beigetragen, dass die Premiere umjubelt wurde.

 

Die nächsten Vorstellungen in Cottbus finden am 27. November und 16. Dezember statt.

 

Die Deutsche Oper Berlin gedenkt des 175 Jubiläums der Uraufführung von LA FAVORITE, am 2. 12. 1840 Paris, mit einer konzertanten Darbietung am 2. Dezember im Haus an der Bismarckstrasse

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