György Kurtágs „Kafka-Fragmente“ in einer einprägsamen filmischen Installation – Ausstellung und Live-Konzertinder Eric F. Ross Galerie des Berliner Jüdischen Museums
Ein ungewöhnliches Musik- und Video-Ereignis ist gegenwärtig, bis zum 26. April, in der Eric F. Ross Galerie des Berliner Jüdischen Museums zu erleben. Die Initiative ging aus von der aus Israel stammenden Geigerin Nurit Stark, die an der Juilliard School in New York und der Universität der Künste in Berlin studiert hatte. Sie hegt eine besondere Leidenschaft für die Neue Musik und lernte auch den 1926 in Siebenbürgen geborenen ungarischen Komponisten jüdischer Herkunft György Kurtág, der wiederholt in Berlin zu Gast war, bei persönlichen Begegnungen kennen und hoch schätzen. Ihre Idee war es, sein Schaffen einem möglichst breiten Kreis von Hör- und Aufnahmewilligen nahezubringen. Ihr besonderes Interesse galt einem von Kurtágs bemerkenswertesten und hintergründigsten Werken, den 1985/87 entstandenen Kafka-Fragmenten op. 24 für Sopran und Violine, die im Jahr ihrer Vollendung bei den Wittener Tagen für neue Kammermusik ihre Uraufführung erlebt und immer wieder nachhaltigen Widerhall gefunden hatten. Gemeinsam mit der Sopranistin Caroline Melzer, die bereit war, die Gesangspartie zu übernehmen, fand sie Gleichgesinnte in der in Berlin bereits mehrfach hervorgetretenen englischen Bühnenbildnerin und Videokünstlerin Isabel Robson und der Filmwissenschaftlerin Susanne Vincenz. Sie unternahmen es, das Werk in einer filmischen Installation zu präsentieren. Ihrer Präsentation gaben sie den Titel „Roundhouse Reverb“, den man als „Widerhall aus dem Lokschuppen“ übersetzen könnte.
Ein wohl mehr als ein Jahrhundert alter imponierender Lokomotivschuppen – eins der Originale steht noch heute, baulich arg in Mitleidenschaft gezogen und verkehrstechnisch nicht mehr in Betrieb, an der Bahnstrecke in Pankow-Heinersdorf – erscheint in der Tat neben einer Reihe osteuropäischer Landschaften als das prägende Bildsymbol. Er ist mit seinem einzigartigen Tonwiderhall auch für einen Teil der Musikaufnahmen genutzt worden. Andere Einspielungen entstanden in Reisezügen, die gen Osten, nach Polen und Russland, fuhren. Die nicht weniger als 40 sehr unterschiedlich gestalteten Fragmente werden hinreißend und wahrhaft ergreifend dargeboten. Nicht nur Caroline Melzer gelingt es, in die Tiefen von Kurtágs Vertonungen vorzudringen und die Hintergründe von Kafkas Texten zu entschlüsseln. Nurit Stark verfügt auf ihrem Instrument über eine wahrhaft beispiellose virtuose Meisterschaft, gewinnt ihrer Guarnieri-Geige aus dem Jahre 1710 aber auch eine tief bewegende Klangschönheit und -fülle ab. Wir können nur wünschen, dass es ihnen vergönnt wird, die in der Berlin-Lankwitzer Siemens-Villa unter bestmöglichen technischen Bedingungen entstandenen endgültigen Tonaufnahmen als CD einer breiteren musikalischen Öffentlichkeit zugänglich zu machen.
Die Präsentation ist während der Öffnungszeiten des Jüdischen Museums – jeweils von 10 bis 20, am Montag bis 22 Uhr – von Lautsprechern und Video-Projektoren zu erleben. Am 10. April um 20 Uhr sind die beiden Solistinnen persönlich im Zusammenwirken mit den weiträumigen Video-Installationen in einem Live-Konzert mit den Kafka-Fragmenten in der Eric F. Ross Galerie zu Gast.
Wolfgang Hanke