Der Spanier Nacho Duato übernimmt in der kommenden Spielzeit die Leitung des Berliner Staatsballetts

Auf dem Weg zu neuen Ideen und Projekten

Am Berliner Staatsballett beginnt eine neue Epoche. Mit dem Ende seines zehnten Amtsjahres wird dessen Gründungsintendant, Vladimir Malakhov, der kürzlich zum letzten Mal in einer Premiere als Tanzsolist auf der Bühne zu erleben war, im August die Leitung der Compagnie an den – wie in den Pressemitteilungen vermerkt – „weltweit renommierten“ spanischen Choreographen und Ballettdirektor Nacho Duato übergeben. Er leitet seit dem 1. Januar 2011 das Mikhailovsky-Theater in St. Petersburg, war in dieser Zeit aber auch international in einer ganzen Reihe von Gastspielen zu erleben. In einer Pressekonferenz an seiner künftigen Wirkensstätte im Gebäudekomplex der Deutschen Oper in Charlottenburg gab er ausführlich Aufschluss über die Vorhaben seiner bevorstehenden ersten Berliner Spielzeit 2014/15.

Vor 57 Jahren in Valencia geboren, hat Nacho Duato  bisher bereits eine umfangreiche Karriere absolviert. Seine professionelle Tanzausbildung erhielt er seit dem 19. Lebensjahr an der Rambert School in London. Er  setzte sie fort an der Mudra Schule von Maurice Béjart und am Alvin Alley American Dance Center in New York. Sein erstes Engagement als Tänzer fand er 1980 beim Cullberg Ballet in Stockholm. Bereits ein Jahr später verpflichtete ihn Jirí Kylián an das Nederlands Dans Theater in Den Haag. Hier unternahm er 1983 einen ersten choreographischen Versuch, der ihm den 1. Preis eines Internationalen Choreographischen Wettbewerbs in Köln einbrachte. 1990 lud ihn das Kulturministerium in Madrid ein, in sein Heimatland zurückzukehren, und übertrug ihm die Leitung der Compania Nacional de Danza, an der er sich in mehr als zwei Jahrzehnten mit über 30 Choreographien hohes internationales Ansehen errang. Er gastierte während dieser Zeit aber auch erfolgreich als Choreograph an einer ganzen Reihe von Bühnen anderer europäischer Länder, der USA, Kanadas und Australiens.

Neue Intentionen fordern gründliche Vorbereitungen

In Berlin ist Duato kein Unbekannter. Dreimal bereits war er in den vergangenen zwei Jahrzehnten an den Opernbühnen der Spreemetropole mit eigenen Choreographien zu Gast: 1995 an der Deutschen Oper mit „Duende“ nach Musik von Claude Debussy, 2002 an der Staatsoper Unter den Linden mit den einige Jahre zuvor für das American Ballet Theatre geschaffenen Tanzszenen „Without Words“ („Ohne Worte“) nach Franz Schubert und 2012, nunmehr mit dem Staatsballett, in der Komischen Oper mit „Arcangelo“ nach Kompositionen des italienischen Barockmeisters Corelli in einer bereits zur Jahrtausendwende entstandenen Choreographie. Für seine bevorstehende erste Berliner Spielzeit kündigte Duato überraschenderweise nur drei eigene Premieren an, denen eine Vorbereitungszeit von nahezu acht Monaten vorausgehen soll. Wie er sagte, wolle er sich zunächst sehr intensiv mit dem in der vollen Besetzung nicht weniger als 88 Mitglieder zählenden, in einigen Positionen neu besetzten größten deutschen Tanztheaterensemble vertraut machen, seine Gestaltungsmöglichkeiten gründlichst erkunden und es an seine mit denen des Vorgängers nicht in jedem Falle übereinstimmenden Intentionen heranführen. Im Gegensatz zu Malakhov wird er nicht selbst auf der Bühne als Tänzer erscheinen.

Als erste eigene Premiere der Spielzeit 2014/15 bereitet er für den 13. Februar des kommenden Jahres Peter Tschaikowskys „Dornröschen“ vor. Im Rückgriff auf seine Petersburger Inszenierung von 2011 will er das „berühmte Ballettmärchen“, wie es in der Vorschau genannt wird, „auf seine Weise neu erzählen“. Bis zum Ende der Spielzeit sind neun weitere Aufführungen in der Deutschen Oper geplant. Einen Monat später, am 14. März, greift Duato auf ein Projekt zurück, das er 1999 in Koproduktion mit der Stadt Weimar, der damaligen Kulturhauptstadt Europas, nach Musik von Johann Sebastian Bach mit einem Titel in englischer Sprache präsentiert hat: „Multiplicy. Forms of Silence and Emptiness“. Es erlebt in der Komischen Oper eine Wiederaufführung mit deutschem Titel: „Vielfältigkeit. Formen von Stille und Leere“. Der „mystisch und spirituell betonte zweite Teil beruht“, wie in der Vorankündigung zu lesen, „einzig auf der ‚Kunst der Fuge’ und reflektiert die Stimmung des Todes, wie sie für Nacho Duato untrennbar mit Bachs Musik verbunden zu sein scheint“. Bis Ende Juni sind zwölf weitere Aufführungen geplant. Die dritte Premiere ist am 14. Mai in der Staatsoper im Schiller-Theater zu erwarten. Bis zum 13. Juni werden ihr sechs weitere Aufführungen folgen. Der Abend vereint als Berliner Erstaufführung eine weltberühmte Tanzschöpfung von Jiri Kylián, „Bella Figura“, eine Uraufführung von Nacho Duato, „Kreation“, und eine bisher in Berlin noch nicht gezeigte „sehr persönliche“ Choreographie von ihm, die sich „mit der bestürzenden Hilflosigkeit im Angesicht von Drogenmissbrauch auseinandersetzt“.

Enges Zusammenwirken mit dem Nachwuchs

Das Gesamtprogramm der kommenden Spielzeit ist damit selbstverständlich noch längst nicht erschöpft. Bereits im November und Dezember wird es in der Deutschen Oper Tschaikowskys „Nussknacker“ unter Mitwirkung von Schülerinnen und Schülern der Staatlichen Ballettschule Berlin geben, mit der Duato im Gegensatz zu seinem Vorgänger wieder eng zusammenarbeiten möchte. Für das Schiller-Theater ist im Dezember eine Wiederaufnahme von „Giselle“ mit der Musik von Adolphe Adam angekündigt. Auch weitere Inszenierungen vergangener Spielzeiten werden in zum Teil erneuerter Gestalt wiederaufgenommen. Nicht vergessen sei in der Deutschen Oper erstmals am 22. Dezember und danach in zwei weiteren Aufführungen im Januar und April 2015 Engelbert Humperdincks Märchenspiel „Hänsel und Gretel“ in der Inszenierung und Choreographie von Giorgio Madia mit dem Kinder- und Jugendballett „Tanz ist KLASSE! – Kinder tanzen“, das auch künftig einen festen Platz unter den Berliner Tanztheaterproduktionen behaupten soll. Weitergeführt wird unter der neuen Leitung des Staatsballetts auch das vor drei Jahren in Zusammenarbeit mit dem Institut für Tanzwissenschaft der Freien Universität ins Leben gerufene Projekt „Ballett-Universität“, das die akademische Tanzwissenschaft eng mit der Praxis des Berliner Staatsballetts verbinden und einen befruchtenden Austausch herstellen möchte. Er wird sich in einer umfangreichen Vortragstätigkeit niederschlagen. Das Publikum der Tanzveranstaltungen in den drei Opernhäusern profitiert von diesem Zusammenwirken durch regelmäßige Einführungsvorträge von Studenten der Tanzwissenschaft zu jeder Ballettvorstellung der Saison.

 

Wolfgang Hanke

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