Christoph Willibald Gluck hat heitere Opern nicht verschmäht
Zu dem großen Reformator der Opernkunst im 18. Jahrhundert, Christoph Willibald Gluck, dessen 300. Geburtstag am 2. Juli dieses Jahres bevorsteht, hatte das Schlosstheater Rheinsberg bereits zu seinen Lebzeiten einen engen Kontakt. Der preußische Kronprinz Friedrich, der bis zu seiner Königskrönung 1740 mit seinem Musikensemble einige Jahre in Rheinsberg residierte, fand für den zweieinhalb Jahre jüngeren Komponisten noch kein Interesse. Sein jüngerer Bruder Prinz Heinrich, dem König Friedrich – der „Große“, wie er bald genannt wurde – das Rheinsberger Schloss überließ, beschäftigte sich jedoch mit Gluck sehr intensiv, schätzte ihn hoch und ließ unter seinem Hofkapellmeister Johann Abraham Peter Schulz von 1780 bis 1787 in dem 1774 vollendeten Schlosstheater mehrere seiner Opern aufführen. Schulz versicherte sogar, dass er sämtliche Opern Glucks dirigiert habe, was sich aus den überlieferten Zeugnissen freilich nicht belegen lässt.
Der Wiederaufbau des seit dem zweiten Weltkrieg zur beklagenswerten Ruine verfallenen Schlosstheaters erfolgte auf Initiative der 1991 ins Leben gerufenen Rheinsberger Musikakademie und deren Künstlerischer Leiterin, Dr. Ulrike Liedtke, in den Jahren 1998/99. Mit der Jahrtausendwende begann ein umfangreicher Proben-, Konzert- und Theaterbetrieb, der vor allem der Aus- und Weiterbildung des künstlerischen Nachwuchses gilt. Jeweils zu Ostern stehen Opernentdeckungen und Konzerte mit Werken aus der Zeit Friedrichs II. und seines Bruders Heinrich auf dem Programm. Gluck war zu diesen Festtagen schon mehrfach präsent. 2003 wurde als erste seiner Opern das Musikalische Drama „Paris und Helena“ einstudiert und neunmal aufgeführt. Ein Jahr später folgten acht Aufführungen der „Alkeste“. Zuletzt stand „Orpheus und Eurydike“ auf dem Programm. Die Orchesterbegleitung bei den Gluck-Inszenierungen wie auch bei allen weiteren Projekten der Osterfesttage übernahm, von Dr. Brigitte Kruse initiiert, ein von Jahr zu Jahr als „Orchesterwerkstatt“ zusammengesetztes Studentenensemble, das „Orchester 1770“, das sich auch in diesem Jahre wieder vorzüglich bewährte.
Hannover wird die Aufführung übernehmen
Das gegenwärtige Gedenkjahr durfte nicht ohne eine weitere Gluck-Premiere vorübergehen. Diesmal dachten die Rheinsberger Initiatoren an eins seiner wenig bekannten Werke, die einaktige Opéra comique „Merlins Insel oder Die verkehrte Welt (in der französischsprachigen Originalfassung „L´ Ile de Merlin ou Le Monde renversé“), die 1758 entstand und im Wiener Schloss Schönbrunn uraufgeführt wurde. Die Wiederentdeckung des nach einem Pariser Vorbild entstandenen reizvollen Werkes erfolgte in enger Zusammenarbeit der Musikakademie Rheinsberg mit dem freien Ensemble „Oper an der Leine“ in Hannover, das die Inszenierung nach den vier Rheinsberger Aufführungen am 12., 13., 19. und 20. April mit einigen Veränderungen übernehmen wird. Ihr Künstlerischer Leiter, Tilmann Birschel, der auch selbst in Rheinsberg mitwirkt, hat die Absicht, der Oper einen noch stärker experimentellen Charakter zu geben. Er möchte die Dialoge nicht mehr, wie in Rheinsberg, sprechen, sondern gesanglich, in der Art von Gassenhauern, improvisieren lassen.
Die Premiere am Vorabend des Palmsonntags fand lebhaften Beifall. Leider blieben nicht wenige Plätze des Schlosstheaters unbesetzt. Das war ohne Zweifel zum großen Teil den heute für viele Theaterbesucher kaum noch erschwinglichen stolzen Eintrittspreisen von 32 Euro pro Karte – ermäßigt nur für Studenten – geschuldet. Das glücklich zusammengesetzte Ensemble der Sängerinnen und Sänger, das engagiert musizierende Orchester und die mit packendem Elan und allem nötigen Sachverstand leitenden Kräfte hätten für ihre imponierenden Leistungen in jedem Falle ein volles Haus verdient. Ganz besonders zeichnete sich der zu einem Teil an der Berliner Hanns-Eisler-Hochschule ausgebildete junge französische Dirigent Aurélien Bello mit seinem musikantischen Impuls und sicheren Klanginstinkt aus. Aber auch der gegenwärtig in Rheinsberg bereits mit der Kinderoper „Götter, Zwerge und der Schatz im Rhein“ nach Richard Wagners „Ring des Nibelungen“ erprobte Regisseur und Ausstatter Maximilian Ponader ließ geistreiche, zum Teil nahezu ausgefallene Ideen nicht vermissen.
Die Rheinsberger Aufführung prägt das Werk in einer Weise, die wir bei Gluck bisher kaum gewohnt sind. Es fehlt auf Merlins Zauberinsel, auf der zwei Schiffbrüchige, Pierrot (Tilman Birschel) und Scapin (Christian Backhaus), ein völlig neues Lebensgefühl gewinnen, nicht an Witz und Humor, aber auch nicht an hintergründigen Akzenten. Die sieben Ensemblemitglieder stehen als Sänger und Darsteller – wie auch der Dirigent – vor keiner leichten Aufgabe, die sie aber achtbar bewältigen und bei den weiteren Aufführungen in Hannover und seinem Umfeld gewiss noch souveräner beherrschen werden. Der Zauberer Merlin (Christoph Rosenbaum) hat eine gänzlich andere Welt geschaffen, als sie den beiden armen Schluckern aus Paris und vielen anderen Orten vertraut ist, gewiss nicht ohne Probleme, „eine verkehrte Welt“, wie es zunächst scheint, aber dennoch weitaus hoffnungsvoller, als sie sie bisher erlebt haben – auch für die weiteren Gestalten des Einakters, die von Cindi Raquel Lutz, Johanna Krödel, Jean-Christophe Fillol und dem Schauspieler Thorsten Junge lebensvoll und musikalisch zündend verkörpert werden.
Maria Brigitte und Wolfgang Hanke