Markus Passion von Reinhard Keiser: Geniales Werk aus dem frühen Umfeld Johann Sebastian Bachs

Die Berliner Ökumenische Seniorenkantorei hinterließ unter KMD Konrad Winkler zwingende Eindrücke mit der Reinhard Keiser zugeschriebenen Markus-Passion

Mit der Ökumenischen Seniorenkantorei besitzt Berlin eine Chorgemeinschaft von ungewöhnlichem Rang. Sie wurde im Januar 2006 von Michael Witt ins Leben gerufen, der im Juli zuvor nach mehr als zwei Jahrzehnten segensreichen Wirkens als Domkapellmeister an der St. Hedwigs-Kathedrale in den aktiven Ruhestand getreten war. Er sammelte um sich noch voll leistungsfähige ehemalige Mitglieder einiger der führenden Berliner Kirchenchöre und konnte sich mit ihnen sehr bald eindrucksvoll nicht nur in Berlin, sondern des öfteren auch auf zum Teil ausgedehnten Chorfahrten in Gottesdiensten und Konzerten hören lassen. Am 21. März 2012 starb er nach langer schwerer Erkrankung im Alter von erst 72 Jahren. Mit Kirchenmusikdirektor Konrad Winkler fand er einen gleichfalls hochbefähigten Nachfolger, der seine Arbeit seit Januar des vergangenen Jahres würdig und ideenreich fortführt. Er war zuvor geraume Zeit als Kantor und Organist an der Friedenskirche in Berlin-Niederschönhausen und Kreiskantor des Kirchenkreises Pankow tätig und konnte umfangreiche Erfahrungen in der kirchenmusikalischen Arbeit, nicht nur mit der jungen Generation, gewinnen. Sein besonderes Interesse gilt der Wiedererschließung selten zu hörender oder gänzlich vergessener Werke der Musica sacra des 17. und 18. Jahrhunderts, die er mit der Seniorenkantorei und leistungsfähigen Musikern packend zum Erklingen bringt.
Im Dezember des vergangenen Jahres weckte er die Aufmerksamkeit für ein frühes Werk des von König Friedrich II. hoch geschätzten späteren Berliner Hofkapellmeisters Carl Heinrich Graun, ein Weihnachtsoratorium aus seinen Braunschweiger Jahren vor der Berufung nach Neuruppin, Rheinsberg und – seit 1740 – Berlin. Die lebensvolle Aufführung in der Corpus-Christi-Kirche mit dem Chor und Orchester der Seniorenkantorei konnte auf einer sehr hörenswerten CD festgehalten werden. In dem gleichen katholischen Gotteshaus nahe dem S-Bahnhof Landsberger Allee ließ er am Palmsonntag eine Passionsmusik nach dem Evangelisten Markus folgen, die lange Zeit dem in Teuchern bei Weißenfels geborenen Lehrer- und Organistensohn, Leipziger Thomaner und später vielgerühmten Hamburger Opernkapellmeister und Domkantor Reinhard Keiser zugeschrieben wurde. Johann Sebastian Bach war fest davon überzeugt, dass der elf Jahre Ältere das geniale Werk geschaffen haben müsste, schrieb selbst Teile davon ab, ließ sich von ihnen für seine eigenen Passionen anregen und brachte das Werk mit wechselnden Veränderungen wiederholt in Weimar und Leipzig zur Aufführung.
Die Genialität dieser Markus-Passion war auch unter Konrad Winklers Leitung sehr eindringlich zu spüren. Er hatte die Seniorenkantorei in allwöchentlichen Proben gründlich und verantwortungsvoll vorbereitet und sie zu hoher Leistungskraft geführt. Es war ihm geglückt, mit dem Berliner Ensemble „musica sequenza“, das sich aus jungen Absolventen der Juilliard School in New York und der Berliner Universität der Künste zusammensetzt, einen vorzüglichen, mit Barockmusik wohlvertrauten Partner zu finden. Eine tragende Aufgabe übernahm Dr. Wolfgang Flügel an der Truhenorgel. Unter den Gesangssolistinnen und –solisten muss neben Susanne Hammer, Claudia-Constanze Nagorsnik und Tobias Hammer mit den Christus-Worten und Bass-Arien wohl vor allem Volker Nietzke als einprägsamer Gestalter der Evangelistenpartie und der Tenor-Arien hervorgehoben werden. Auch von der Markus-Passion wird in Kürze eine CD-Einspielung zu erwerben sein.
Die Wiedererschließung selten zu hörender Werke der Musica sacra aus vergangenen Jahrhunderten durch die Ökumenische Seniorenkantorei möchte KMD Winkler mit großem Engagement fortsetzen. Er bereitet u.a. ein Konzert mit Magnificat-Vertonungen vor. Neben weiteren Entdeckungen wird hier eine packende Kreation des Dresdner „Kirchencompositeurs“ tschechischer Herkunft Jan Dismas Zelenka (1679 – 1745) zu erleben sein. Auch der 1626 in Nürnberg geborene und 1712 in Darmstadt verstorbene Komponist und Organist Wolfgang Carl Briegel und der Dresdner Hofkomponist Johann Georg Schürer (1720 – 1786) sollen zu Wort kommen. Für die reichen Notenschätze des Zisterzienserklosters Neuzelle nahe der Mündung der Neiße in die Oder hatte sich schon Michael Witt nachdrücklich interessiert. Sein Nachfolger am Dirigentenpult möchte seine Intentionen weiterführen und die zu erschließenden Werke nicht nur in Berlin, sondern auch an ihrem Entstehungs- bzw. Fundort einem möglichst breiten Hörerkreis darbieten.

 

Wolfgang Hanke

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