Der RIAS Kammerchor im Dreivierteltakt

„Liebesreigen“ Johannes Brahms‘ im Spiegel seiner Zeitgenossen

Flexibilität und legendäre Wandlungsfähigkeit zeichnet den exzellenten Chor aus

Konzert des Rias Kammerchors am 5.12.2019 (Screenshot: J.-Chr. Hanke)

Am 5. Dezember 2019 stimmten der RIAS Kammerchor und die Akademie für Alte Musik unter Justin Doyle im Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt mit Kantaten von Johann Sebastian Bach auf die Advents- und Weihnachtszeit ein. Die begeisterten Zuhörer dankten es mit lang anhaltendem Beifall. Eine Woche zuvor bewies der exzellente Chor in seinem zweiten Abonnementkonzert in der Berliner Philharmonie mit „Liebesreigen“- Johannes Brahms im Spiegel seiner Zeit, erneut sein großes musikalisches Spektrum, die Biegsamkeit und farbenreiche Leuchtkraft der Stimmen, auch in den Soli, seine Flexibilität und legendäre Wandlungsfähigkeit.

Liebeslieder Walzer und Slawische Tänze

An diesem Abend standen die 18 Liebeslieder, Opus 52 , Walzer für Gesang und Klavier zu vier Händen von 1869, und die fünf Jahre später erschienenen 15teiligen Neuen Liebeslieder, Opus 65, von Johannes Brahms im Mittelpunkt. Einen besonderen Reiz erhielten die beiden Zyklen im Dreivierteltakt mit Einschüben von Volksliedbearbeitungen anderer Kulturen durch Max Reger, Gustav Holst, Ralph Vaughan Williams, Roger Quilter und Justin Doyle. Ergänzt wurden sie zudem durch eine Auswahl der Slawischen Tänze von Antonin Dvorak, den der acht Jahre ältere Brahms wohl schon 1875 kennengelernt hatte und sich ihm seitdem freundschaftlich verbunden fühlte. Beide bearbeiteten den Schatz von Volksliedern, um ihn der Nachwelt zu erhalten.

Kostbarkeiten mit Ohrwurmpotential

Mit diesem Programm im Kammermusiksaal der Philharmonie, das nicht nur die vielfältigen Emotionen der Liebe aufgriff, sondern auch das Tanzthema, boten der RIAS Kammerchor Berlin und das türkische Klavierduo Ufuk & Bahar Dördüncü „Kostbarkeiten mit gehörigem Ohrwurmpotenzial“. Dasselbe Konzert war auch wenige Tage zuvor in Dublin zu erleben Ein Heimspiel für den Dirigenten. Brachte doch der englischsprachige Raum der Pflege alten Volksliedgutes seither große Wertschätzung entgegen.

Volksliedbearbeitungen sind die Seele Brahmscher Musik

Vokalwerke nehmen im kompositorischen Schaffen von Johannes Brahms einen gewichtigen Platz ein. Sie sind in vokalsinfonischer Besetzung, in Chören a cappella, in mehrstimmigen Gesängen mit Instrumentalbegleitung, im Kunstlied und auch in Form von Volksliedbearbeitungen zu finden. Von Letzteren hat uns Brahms mehr als einhundert hinterlassen.-Sie zeichnen sich durch Kantabilität der Stimmen, Natürlichkeit und Klarheit von Stimmführung und Harmonik sowie Verzicht äußerlichen Kolorits aus. Sie sind die Seele seiner Musik. Kein Wunder, dass er einige Liebeslieder auch im Walzertakt verarbeitet hat.

Beiseite gelegte Skizzen werden 1869 wieder aufgenommen

Der unverhofft große Erfolg des „Deutschen Requiems“ op.45, im Dom zu Bremen und mit dem Gewandhauschor in Leipzig im Februar 1869 hat für den Komponisten Brahms Fanalwirkung. Beiseite gelegte Skizzen werden wieder aufgenommen. Brahms wendet sich erneut und intensiv dem vokalen Schaffen zu. Nach Jahren kommt es nun auch zur Uraufführung der 15 Romanzen , Opus 33, aus Ludwig Tiecks „Die schöne Magelone“. Diesen Liedzyklus hatte er bereits 1861 begonnen. Auch die Kantate „Rinaldo“ nach Goethetexten kann in Berlin herausgegeben werden. Schon 1963 war sie bei einem Ferienaufenthalt in Blankenese, allerdings ohne Schlusschor, komponiert worden. Die Sommeraufenthalte werden zu den wichtigsten Perioden im kompositorischen Schaffen von Johannes Brahms. Von 1864 bis 1871 ist es Baden-Baden, bzw. das benachbarte Lichtenthal., wo er in der Nähe zu Clara Schumann und ihrer Familie zum Arbeiten angeregt wird. 1869 kann er dort einen weiteren Liederzyklus fertigstellen und für den Druck vorbereiten. Es sind die Liebesliederwalzer op.52, die er Clara Schumann dediciert.

Musikalische Bekenntnis zur Wahlheimat Wien

Bereits drei Jahre zuvor hat er 16 Walzer für Klavier zu vier Händen , sein Opus 33, veröffentlich und sie dem gefürchteten Wiener Musikpapst Eduard Hanslick gewidmet. Dessen Erstaunen war groß . „Der ernste, schweigsame Brahms, der echte Jünger Schumanns, norddeutsch, protestantisch und unweltlich wie dieser schreibt Walzer. ….Ein Wort löst uns das Rätsel, es heißt: Wien.“ Die Stadt des Walzerkönigs Johann Strauß hat Brahms zum Tänze schreiben gebracht. Auch die in einer ungewöhnlich vokal-instrumentierten Mischform komponierten Liebesliederwalzer sind die Frucht seines Wiener Aufenthaltes, “und freilich von süßester Art“. Inzwischen hat Brahms seinen Wohnsitz endgültig in die Donaumetropole verlegt und hofft, nun auch mit den Liedern im Dreivierteltakt die Wiener für sich zu gewinnen. Die walzerseligen Liebeslieder sollten zugleich eine Reverenz an seine neue Wahlheimat sein. Die Texte hatte er der Volksliedsammlung des Goethe-Epigonen Georg Friedrich Daumer entnommen. ,

Uraufführung der Liebesliederwalzer mit Clara Schumann und Johannes Brahms am Klavier

“Übrigens möchte ich doch riskieren, ein Esel zu heißen, wenn unsere Liebeslieder nicht einigen Leute Freude machen“ , äußert sich Brahms nach deren Drucklegung vor genau 150 Jahren, im Dezember 1869. Bereits im Januar 1870 findet im ausverkauften kleinen Redoutensaal der Wiener Hofburg die Uraufführung statt, mit Clara Schumann und Johannes Brahms am Klavier “Ich spielte sehr glücklich. Das Publicum war in wahrem Enthusiasmus….. Die Liebeslieder – Johannes spielte sie mit mir vierhändig – gingen reizend und gefielen sehr“. war von Clara nach der Uraufführung zu vernehmen. Der große Erfolg dieser Liebeslieder im Walzertakt, Opus 52, die aus der Verquickung des tänzerischen mit dem lyrischen Moment ihren eigenen Reiz gewinnen, veranlasst Brahms wenige Jahre später zu den Neuen Liebesliederwalzern. Diesmal ohne die Begeisterung Clara Schumanns.

Bei Brahms ist jedes einzelne Lied ein Juwel

Für Justin Doyle gibt es „sehr wenige Liederzyklen dieser Qualität, für Chor. Bei Brahms ist jedes einzelne Lied ein Juwel, und die vielen Gesichter der Liebe, die die Texte beschreiben, werden von ihm in wunderbaren Farben und Details zum Leben erweckt…….Diese umfassende Bandbreite an Emotionen und die vielen Facetten der Liebe, die Brahms erforscht, fordern einen enormen Reichtum an Klangfarben. Seine Vertonungen sind äußerst sorgfältig durchdacht – gleichgültig ob für Frauen oder Männerstimmen, in Duetten oder Solowerken. Jedes einzelne Lied hat einen eigenen Stil.

Die Zugabe brachte noch einen Höhepunkt

Diese vielseitigen Klangfarben, die herb-süßen Zwischentöne, die subtilen Pointen und leisen ironischen Spitzen loteten der RIAS Kammerchor und die Solisten, Katharina Hohlfeld-Redmond, Waltraud Heinrich, Minsub Hong, Ingolf Horenburg, Andrew Redmond, in sensibler Feinsinnigkeit und Noblesse aus. Dem Klavierduo Ufuk & Bahar Dördücün gebührt daran kein geringerer Anteil. Ihre Interpretation der Slawischen Tänze überzeugte darüberhinaus in den lyrischen Passagen.

Die Zugabe brachte noch den berührenden Höhepunkt. Ein, in seiner Pentatonik, sehr reizvolles, tief bewegendes Liebeslied aus Äthiopien. Justin Doyle hat es vor zwei Jahren aus dem Land, in dem seine Zwillinge geboren wurden, mitgebracht und für den Kammerchor eingerichtet. Danach hätte man gern weiterhören mögen.

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