Der zweite Band des Lexikons norddeutscher Orgelbauer erschien im Berliner Pape Verlag

Sachsen als eins der international tonangebenden Zentren des Orgelbaus

Mehr als 2000 Orgelbauer aus sieben Jahrhunderten verzeichnet der Sachsen und seiner Umgebung gewidmete zweite Band des Lexikons norddeutscher Orgelbauer, der Anfang August 2012 im Berliner Pape Verlag erschien. Das mutige Projekt, das auf weit über hundert Jahren umfangreicher Forschungsarbeiten basiert, wurde 2009 mit einem Band über Thüringen und Umgebung eröffnet, den Prof. Dr. Uwe Pape gemeinsam mit Wolfram Hackel, Gottfried Gille und Hermann Fischer herausgab. In absehbarer Zeit soll ein dritter Band folgen, der die Region Sachsen-Anhalt mit ihrem Umfeld erfasst. Vorausgegangen war seit 1985 auf Initiative von Prof. Pape im Fachgebiet AEDV/Wirtschaftsinformatik der Berliner Technischen Universität die Erstellung einer umfassenden Orgeldatenbank, die bisher bereits eine ganze Reihe von orgelgeschichtlichen Publikationen ermöglicht hat.

Für den Sachsen-Band zeichnen wiederum der längst international hoch geschätzte Dresdner Orgelforscher Wolfram Hackel und Uwe Pape als Herausgeber. Neben dem Aschaffenburger Hermann Fischer konnten sie zwei anerkannte Spezialisten aus Polen und Tschechien, Wolfgang J. Brylla (Zielona Góra) und Thomás Horák (Litomerice/Freital), zur Mitarbeit gewinnen, da es ihnen darum ging, nicht nur Sachsen in seinen einstigen Grenzen unter Einschluss der Ober- und Niederlausitz diesseits und jenseits der Neiße, sondern, soweit möglich, auch sämtliche Orgelbauer aus Schlesien und Polen zu erfassen, die seit dem ausgehenden Mittelalter in weiten Teilen des Landes tätig waren. Neben einer Vielzahl von Kleinmeistern sind daher in den mehr als 450 Lexikonspalten auch renommierte Werkstätten wie Berschdorf im oberschlesischen Neiße, Buckow in Hirschberg, Caspari in Sorau und dessen Nachfahren, Engler in Breslau, Hartig in Züllichau, Heinze in Sorau, Müller in Breslau, Rieger in Jägerndorf, Schlag & Söhne in Schweidnitz und Walter in Guhrau präsent.

Das gleiche Konzept öffnet aber auch in Richtung Brandenburg, Ostpreußen, Pommern, Mecklenburg, Niedersachsen, Thüringen, Hessen, Rheinland, Baden-Württemberg, Bayern und weit über die deutschen Grenzen hinaus ein umfangreiches Blickfeld. Kaum einer der großen Namen des deutschen und mitteleuropäischen Orgelbaus aus Vergangenheit und Gegenwart fehlt. Sogar amerikanische Firmen wie die Aeolean Organ Company in New York und Hook in Boston werden genannt. Fast gerät in den Hintergrund, dass Sachsen selbst unter Einschluss der nach dem Wiener Kongress 1815 von Preußen annektierten Gebiete nicht erst seit Gottfried Silbermann und Zacharias Hildebrandt stets eine führende Position im deutschen Orgelbau eingenommen hat und bis zum heutigen Tag einnimmt. Andererseits wird aber auch sehr einprägsam deutlich, dass die sächsischen Kirchengemeinden und vollends die Verantwortlichen der mit Orgeln ausgerüsteten Konzert- und Ausbildungsstätten nicht engstirnig dachten, sondern ihren Blick stets über die Landesgrenzen hinaus richteten und daran interessiert waren, mit ihren Aufträgen bestmögliche Qualität zu erwerben und möglichst auch unterschiedliche Konzepte zu Wort kommen zu lassen.

Weitreichender Blick über die Landesgrenzen

Sachsens Nachbarregionen werden allerdings nicht nur eingeblendet, soweit ihre Orgelbauwerkstätten Instrumente nach Dresden, Leipzig, Chemnitz, Zwickau, Plauen, Zittau, Görlitz und so manchen weiteren Orten des Landes lieferten oder – umgekehrt – sächsische Orgelbauer über die Grenzen ihrer Heimatbereiche hinaus tätig wurden und sich vielleicht sogar außerhalb Sachsens fest ansiedelten. Wie das Lexikon in nicht wenigen Artikeln belegt, ist beides keineswegs selten geschehen. Die Herausgeber betonen im Vorwort des Bandes überdies ausdrücklich, dass zu den Auswahlkriterien auch „stilistische Gemeinsamkeiten mit sächsischen Orgelbauern oder auch nur eine geographische oder stilistische Nähe, die wechselseitige Einflüsse vermuten lässt“, zählten. Diese großzügige Sicht brachte allerdings das Problem mit sich, dass der außersächsische Orgelbau in einigen Punkten nahezu eine dominierende, übermächtige Position gewinnt und das zentrale Thema des Bandes bisweilen an die Peripherie drängt, so sehr es auch seine Nutzer freuen dürfte, bei seinem Studium weit mehr als erwartet zur Kenntnis nehmen zu können.

Immerhin würdigen rund 525 Artikel des Bandes separate Orgelbauer und Betriebe, Dynastien unterschiedlichster Dimension, die seit dem ausgehenden Mittelalter bis in die unmittelbare Gegenwart im Bereich des heutigen Bundeslandes Sachsen tätig waren und sind. Keiner der tonangebenden Namen fehlt, aber auch viele Kleinmeister, die die Forschung bisher ermitteln konnte, werden mit Hinweisen auf den derzeitigen Kenntnisstand und weiterführende Literatur genannt. Die leistungsfähigsten sächsischen Orgelbaubetriebe nehmen selbstverständlich den ihnen gebührenden Platz ein. Ihnen sind sehr ausführliche Artikel mit allen notwendigen biographischen Hinweisen und umfangreichen Werklisten gewidmet.

Geschichte und Gegenwart

Bereits die Jahrhunderte vor der Silbermann-Aera werden eingehend beleuchtet, denken wir etwa an den um 1440 in Bozen geborenen Burckhardt Dinstlinger, der zeitweilig in Freiberg, Torgau, Bautzen und Görlitz tätig war, an die Familie Decker in Görlitz, die mehr als 200 Jahre umspannende Dynastie Donat bzw. Donati in Leipzig, Zwickau, Glauchau und Altenburg, an die Familien Koler in Pirna und Dresden, Lange in Kamenz, Lehmann in Bautzen und viele weitere. Aus den letzten Jahrhunderten genannt seien die Dresdner Familien Gräbner und Jahn, die Kreutzbachs in Borna, die Ladegasts in Weißenfels, Johann Gottlob Mende in Leipzig, Pfützner in Meißen, die Rühlmanns in Zörbig bei Bitterfeld, die Familien Schmeisser in Rochlitz, die Dynastie Tamitius in Dresden, Zittau und Cottbus und die Trampelis in Adorf.

Ausführlich präsentiert werden selbstverständlich auch die bis heute bestehenden sächsischen Firmen, als älteste und namhafteste Jehmlich in Dresden, 1808 in Neuwernsdorf gegründet, und Eule, seit 1872 in Bautzen, des weiteren die Familie Bochmann in Kohren-Sahlis, die Firma Groß & Soldan in Waditz nahe Bautzen, eine Neugründung des Jahres 1992, Johannes Lindner, seit 1998 in einer eigenen Werkstatt in Radebeul, zuvor Orgelpfleger der Ev.-Luth. Landeskirche Sachsens, die traditionsreichen Unternehmen Schuster in Zittau und Rühle in Moritzburg, der als Restaurator historischer Orgeln weit über die sächsischen Grenzen hinaus geschätzte Kristian Wegscheider in Dresden, Thomas Wolf, seit 2002 im vogtländischen Limbach, und Georg Wünning, seit 1982 in Großolbersdorf bei Marienberg.

Sachsen als eins der international tonangebenden Zentren des Orgelbaus

Die mit Sachsen verbundenen namhaftesten Orgelbauunternehmen der Nachbarregionen und weiterer mitteleuropäischer Bereiche werden nicht weniger ausführlich dargestellt. So lassen sich auch umfassende Informationen gewinnen über die Utrechter Familie Bätz und so bedeutende Betriebe wie die Firma Bosch in Sandershausen bei Kassel, die Familien Compenius und Contius aus dem 16., 17. und 18. Jahrhundert, die Berliner Dynastie Dinse, die Werkstatt Eifert in Stadtilm, die Firma Förster & Nicolaus im hessischen Lich, die Geraer Familie Friderici, Furtwängler & Hammer in Niedersachsen, die Zungenstimmen-Spezialwerkstatt Giesecke in Göttingen, die Familien Heerwagen, Hoffmann, Holland, Knauf, Kühn und Poppe in Thüringen, die Regensburger Firma Jann, die Familien Kern in Strasbourg und Link in Giengen an der Brenz, Lütkemüller in Wittstock, Marcussen & Sohn im dänischen Apenrade, Ott in Göttingen, die Familie Papenius in Nordhausen und Halberstadt, die Dynastie Ratzmann in Ohrdruf und Gelnhausen, Reubke in Hausneindorf, Röver in Stade und Hausneindorf, das in seiner Entwicklung mehr als 175 Jahre zurückreichende und schon bald europaweit anerkannte Haus Sauer in Friedland, Frankfurt (Oder) und Müllrose, Christian Scheffler in Sieversdorf, die beiden international bedeutenden Schuke-Betriebe in Potsdam/Werder und Berlin, Steinmeyer in Oettingen, Strobel in Frankenhausen, die Dynastie Trost in Halberstadt, Langensalza und Altenburg, Voigt in Bad Liebenwerda, der führende Berliner Barockorgelbauer Joachim Wagner, die weitverzweigte Firma Walcker in Württemberg, Gerald Woehl in Marburg und die Familie Zuberbier in Bernburg, Köthen, Halle, Dessau und Obernkirchen.

Eine geschichtliche Darstellung ist nicht angestrebt. Sie gehört nicht zu den Aufgaben eines Lexikons, lässt sich aber bei gründlichem Studium der einschlägigen Artikel in allen wesentlichen Teilen nachvollziehen, da sämtliche Epochen des Orgelbaus mit ihren Stilwandlungen vom späten Mittelalter bis in die Gegenwart erfasst werden.

 

Wolfgang Hanke

Lexikon norddeutscher Orgelbauer. Band 2: Sachsen und Umgebung. Herausgegeben von Wolfram Hackel und Uwe Pape unter Mitarbeit von Wolfgang J. Brylla, Hermann Fischer und Thomás Horák. Pape Verlag Berlin 2012. 723 Seiten. Ganzleinen 38,00 EURO

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