„Musica Lutherana“
Sachsen bekräftigt seinen Ruf als eine der herausragenden deutschen Musikregionen stets auch durch bewegende Konzerte, die die Vertretung des Freistaates beim Bund alljährlich mehrmals in Berlin veranstaltet. Besondere Höhepunkte sind die Weihnachtskonzerte. In diesem Jahre waren einer der leistungsfähigsten Chöre der Landeshauptstadt, das aus dem Körnerschen Sing-Verein von 1993 hervorgegangene Vocal Concert Dresden, und die ein Jahr später ins Leben gerufene Chursächsische Capelle Leipzig in der Nikolaikirche zu Gast. Die Leitung hatte Peter Kopp, der seit 1995 auch als Chordirigent beim Dresdner Kreuzchor tätig ist. Er hatte sich mit dieser Singgemeinschaft bereits wenige Tage zuvor auf einer mehrere Stationen berührenden Chorfahrt im Berliner Konzerthaus im Zusammenwirken mit dessen Orchester mit weihnachtlicher Kirchenmusik von Antonio Vivaldi, Johann Adolf Hasse, Johann David Heinichen und Baldassare Galuppi ausgezeichnet.
Der festliche Abend der Sächsischen Landesvertretung stand unter dem Leitwort „Musica Lutherana“ und ordnete sich beziehungsvoll ein in das dem Thema „Musik und Reformation“ gewidmete Jahr der Luther-Dekade im Blick auf die 2017 bevorstehende 500-Jahr-Feier der Reformation. Das ebenso einfühlsam wie packend dargebotene Programm umspannte Werke aus vollen fünf Jahrhunderten. Es setzte besondere Akzente mit Choralmotetten von Luthers Freund und musikalischem Berater Johann Walter, dem „Urkantor der evangelischen Kirche“, dem langjährigen Berliner Nikolaikantor Johann Crüger und seinem Amtsnachfolger Johann Georg Ebeling, Joh. Seb. Bachs Schüler und Schwiegersohn Johann Christoph Altnickol und Johannes Brahms. Auch zwei der Sprüche, die Felix Mendelssohn Bartholdy in den frühen 1840er Jahren für den Berliner Domchor komponierte, eine Motette für das Reformationsfest von dem Berliner Domkapellmeister Albert Becker und ein Satz aus Hugo Distlers „Weihnachtsgeschichte“, „Das Volk, so im Finstern wandelt“, hinterließen bei den Zuhörern tiefe Spuren. Das Leipziger Instrumentalensemble mit Sebastian Knebel am Orgelpositiv war eindrucksvoll zu erleben mit Sonaten von Johann Rosenmüller und Johann Gottlieb Graun, dem Konzertmeister der Berliner Hofkapelle König Friedrichs II.
Peter Kopp hatte für das Programmheft des Konzerts einen umfangreichen Einführungstext geschrieben, in dem er nicht nur die musikgeschichtlichen Zusammenhänge erläuterte, sondern auch auf die geistesgeschichtlichen Hintergründe eines Teils der unter seiner Leitung zu erlebenden Werke einging. Der letzte Absatz seiner Ausführungen verdient es, nachdrücklich im Gedächtnis zu bleiben: „Alle heute aufgeführten Komponisten von Johann Walter bis Hugo Distler sind beredte Zeugen dafür, dass auch Kirchenmusik in politische und gesellschaftliche Kontexte eingebunden war, dass das Lob Gottes selten ohne begleitende Zwischen- und Untertöne erklang. Vielleicht ist es wenigstens in dieser Hinsicht heute leichter geworden. Merkwürdig, dass aber nie zuvor so wenig Kirchenmusik komponiert wurde wie in unseren Tagen.“
Wolfgang Hanke