Kunst und Kultur Mitteleuropas unter der Herrschaft der Jagiellonen – Bedeutungsvolle Ausstellung im Potsdamer Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte
Das Potsdamer Haus der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte ist für zweieinhalb Monate, bis zum 16. Juni, wieder in das internationale Blickfeld gerückt. Eine umfangreiche, mit vielen Kostbarkeiten spätmittelalterlicher und frühneuzeitlicher Bildkunst bestückte Ausstellung macht mit den aktuellen Forschungsergebnissen über die litauisch-polnische Jagiellonen-Dynastie vertraut, der nahezu zwei Jahrhunderte, von 1386 bis 1572, bedeutungsvolle politische und kulturelle Initiativen zu danken waren. Zeitweilig umspannte das Herrschaftsgebiet dieser über mehr als sechs Generationen weitverzweigten Fürstenfamilie beträchtliche Teile Ost- und Mitteleuropas. Um 1500 waren die Jagiellonen das mächtigste Königshaus in der Mitte Europas. Ihr Herrschaftsgebiet reichte für einige Jahrzehnte von der Ostsee bis zur Adria und von der Elbe bis zum Schwarzen Meer. Damit legten sie, wie in den Begleittexten der Ausstellung zu lesen ist, die historischen Wurzeln für ein modernes Europa.
Die „bislang wichtigste und komplexeste Ausstellung des Hauses der Brandenburgisch-Preußischen Geschichte“, wie dessen Direktor, Dr. Kurt Winkler, in seiner Eröffnungsansprache betonte, fußt auf einem umfang- und ergebnisreichen tschechisch-polnisch-deutschen Forschungsprojekt, das im ersten Jahrfünft des neuen Jahrhunderts unter Führung ihres Kurators, Dr. Jirí Fajt, am Geisteswissenschaftlichen Zentrum für Geschichte und Kultur Ostmitteleuropas der Leipziger Universität unter Mitwirkung von 60 internationalen Wissenschaftlern stattfand. Erste, noch umfangreichere Präsentationen waren bereits im vergangenen Jahr in dem einstigen Zentrum des tschechischen Silberbergbaus, Kutná Hora (Kuttenberg), mit nicht weniger als 64000 Besuchern und in Warschau vorausgegangen.
Reiche Kunstschätze aus Schlössern und Kirchen
Die Ausstellung führt eindrucksvoll durch die wechselnden Residenzen der Jagiellonen, Vilnius, Kraków, Sandomierz, Prag, Pressburg. Buda, und andere Orte und gibt einen Eindruck von ihrer nicht selten sehr aufwändigen architektonischen Gestaltung, den reichen Kunstschätzen, die in Schlössern und Kirchen gesammelt und verwahrt wurden. Sie berücksichtigt auch die schlesische und sächsische Oberlausitz mit den Städten Görlitz, Zittau, Bautzen und Kamenz, die zeitweilig zum Herrschaftsbereich der Jagiellonen gehörten und noch heute mit einer ganzen Reihe von Zeugnissen an sie erinnern. Nicht zuletzt macht sie deutlich, wie es den Jagiellonen über mehrere Generationen gelang, ihren Machtbereich nicht durch kriegerische Auseinandersetzungen, sondern vor allem durch eine wohlüberlegte Heiratspolitik mit bemerkenswerter Toleranz gegenüber den unterschiedlichen Glaubensrichtungen weit über die ursprünglichen Territorien hinaus auszudehnen. Die Glanzzeit der Dynastie blieb allerdings begrenzt. In ihrer letzten Zeit verlor sie spürbar an Ausstrahlungskraft. 1572 endete sie gänzlich mit dem Tod ihres letzten männlichen Sprosses, Sigismund II, August, der 1529 als Neunjähriger zum Großfürsten von Litauen ernannt und ein Jahr später in der Krakauer Wawel-Kathedrale zum polnischen König gekrönt worden war.
Arbeiten international namhafter Künstler
Nicht wenige der in der Ausstellung gezeigten Arbeiten stammten von namhaften Künstlern aus den Niederlanden, Franken, Bayern und Italien, die sich zu einem Teil sogar für längere Zeit in den Jagiellonen-Residenzen niederließen. Auch in der Potsdamer Ausstellung sind Altarbilder, Schnitzwerke, Zeichnungen, Druckgrafiken und kunsthandwerkliche Arbeiten von bedeutenden, wenn auch nicht immer namentlich bekannten Meistern zu sehen, die von renommierten in- und ausländischen Museen und – oft bisher erstmalig – aus Kirchenschätzen zur Verfügung gestellt wurden. Sogar Albrecht Dürer, Veit Stoß, Lucas Cranach der Ältere und Hans Süß von Kulmbach sind mit einigen ihrer Werke präsent. Jedes Kunstwerk wird, so weit möglich, eingehend erläutert. Über die geschichtlichen Zusammenhänge informiert der von Jiri Fajt herausgegebene reich illustrierte Katalog ausführlich. Er weist auch auf Werke und sehenswerte Stätten, vor allem in der Lausitz, hin, die in der Ausstellung nicht gezeigt werden können, aber zu eigenen Exkursionen einladen sollen. Er behält seinen Wert weit über die zehn Wochen der Ausstellung hinaus und ist erstaunlich preisgünstig, für nur 14,95 Euro, zu erwerben.
Mit der Ausstellung ist ein umfangreiches Begleitprogramm mit Führungen, Workshops speziell für Schüler, Vorträgen, einem Thementag (über die Lausitzen im späten Mittelalter am 21. April) und Busexkursionen verbunden. Mehrtägige Fahrten führen durch Mittelböhmen an die Moldau (unter dem Thema „Gotische Pracht in Böhmen“) und zu den spätmittelalterlichen Bauwerken und Kunstschätzen der Oberlausitz. Ziele eintägiger Fahrten sind die „Gotische Kunst in der Mark zwischen Spree und Oder“ und spätgotische Kunstdenkmäler in der Niederlausitz zwischen Cottbus und dem seit 1945 polnischen Zary. Leider kommt im Umfeld der Ausstellung die einst sehr reiche Musikkultur der Jagiellonenzeit nicht zu Wort. Sie wird in Polen, Tschechien und der Slowakei heute wieder sehr intensiv gepflegt und hätte wohl auch zu den Werken der bildenden Kunst und den Geschichtszeugnissen einen einprägsamen Kontrapunkt gesetzt.
Wolfgang Hanke