Händels Zauberoper „Alcina“ am Staatstheater Cottbus ins Kaufhaus der „goldenen 20er Jahre“ verbannt

Am 14 März erlebte die, als „wohl schönste und anspruchsvollste Händeloper“ bezeichnete „Alcina“, ein Spätwerk des  Großmeisters der Barockmusik, nach 280 Jahren ihrer Londoner Uraufführung im Cottbuser Jugendstiltheater eine von der Regie nicht immer stimmige, jedoch einfühlsam und brillant musizierte, sängerisch überzeugende, tänzerisch packende und von daher beeindruckende Erstaufführung unter dem Dirigat des neuverpflichteten Ivo Hentschel mit Leila Salome Fischer in der Titelrolle.

Sie zählt zu den musikalischen Kostbarkeiten im Schaffen Georg Friedrich Händels, den Beethoven „den unerreichten Meister aller Meister“ nannte, die Märchen- und Zauberoper „Alcina“. Als sie in einer unglaublichen Zeit von nur zwei Monaten entstand und am 16.April 1735 , im drei Jahre zuvor eingeweihten Londoner Covent Garden Theatre, zur Uraufführung gelangte, hatte Händel gerade sein 50. Lebensjahr beendet und bereits den weitaus größten Teil der 46 Opern komponiert. Seine Gesundheit war inzwischen allerdings so stark in Mitleidenschaft gezogen, bedingt durch Intrigen und Abwerbungen der Gegner seines bis dahin in ganz Europa bewunderten Opernimperiums, wo er die besten Sängerinnen und Sänger unter Vertrag hatte, dass er ans Aufgeben dachte. Sein Zenit schien im Sinken. Doch die „Alcina“ ist ein Beweis von Händels  wunderbarer und ungebrochener Schaffenskraft, der bis 1741 noch sechs weitere Opern, unter ihnen: „Xerxes“, „Imeneo“., „Deidamia“ folgten, dazu die 12 berühmten Concerti grossi., bevor er, nach einem 1737 erlittenen Schlaganfall erholt, sich verstärkt dem oratorischen Werk zuwandte und die Nachwelt mit den großen Schöpfungen „Messias“, „Judas Maccabäus“, „Jephta“ beschenkte.

Das Juwel aus Händels Opernschatz, „Alcina“ ist schon zu Lebzeiten des großen Meisters, wie wenige seiner anderen Bühnenwerke von Erfolg gekrönt. Der Musikschriftsteller Charles Burney urteilt nach der Premiere: „Eine Oper, mit der Händel wohl seine Gegner bezwungen hat.“  Bis 1737 ist „Alcina“ in London 24 Mal gespielt worden und erlebte sogar ein Jahr  später in Braunschweig die deutsche Erstaufführung. Sängerensemble, Handlung und prachtvolle Ausstattung bezauberten das Publikum „ Ich denke, es ist die beste Oper, die er je gemacht hat… sie ist so schön, daß ich keine Worte habe, um sie zu beschreiben… Während Herr Händel seine Stimme spielte, konnte ich nicht anders als in ihm einen Beschwörer inmitten seiner eigenen Zaubereien zu sehen“ meldet sich bereits während der Londoner Proben eine langjährige Verehrerin des Komponisten, der die Aufführung vom Cembalo aus leitete. Die erotische Aufführung von Alcina,, als Weib und Zauberin, in ihrer Schönheit und Unbeständigkeit ein Prototyp der Verlockung, muss bei einigen Zeitgenossen jedoch große Entrüstung hervorgerufen haben, worauf die Gegner kontern konnten „daß diese Geschichte zeige, wie die Heftigkeit jugendlicher Leidenschaften zu unvernünftigen Dingen treiben kann“ zumal wenn Alcina, am Ende ihrer Macht beraubt, als gebrochene Frau dastehen muss. Als moralisches Plus rechnete man an, dass die alles umfassende aufrichtige „reine“ Liebe, den Sieg davongetragen habe.

Ein großer Anziehungspunkt der Londoner Aufführung war neben dem berühmten Kastraten Giovanni Carestini als Ruggiero und Anna Maria Strada del Po in der Titelrolle, die gefeierte Tänzerin Marie Sallé, deren freier Tanzstil sich sensationell vom traditionellen Ballett der Barockzeit  unterschied. Sie muss aber wegen ihres Auftritts in Männerkleidung so heftige Kritik erhalten haben, dass sie nach der „Alcina“ London verläßt und nach Paris zurückkehrt, wo man wohl weniger prüde war.

Worum geht es in diesem musikalischen, von virtuosen Bravourarien zu wechselnden lyrischen Szenen sich bewegenden Kleinod, das seine Handlung auf das Versepos „Orlando furioso“, („Der rasende Roland“), des Renaissancedichters Ludovico Ariost zurückführt. Die bezaubernde und besitzergreifende Magierin Alcina, die sich überdrüssiger Liebhaber entledigt, indem sie sie in Steine, Pflanzen oder Tiere verwandelt, hat auf ihrer paradiesischen, Glückseligkeit verheißenden Insel, den gestrandeten Ritter Ruggiero in rasende Liebesglut versetzt und ihm damit das Erinnerungsvermögen genommen. Bradamante, die sich als ihr Bruder Riccardo ausgibt, ist mit ihrem Vertrauten, Melisso, auf der Suche nach dem vermissten Bräutigam. Sie muss nun  erleben wie dieser, von der schmachtenden Liebe Alcinas gefesselt und sich im Liebesrausch zu ihr verzehrt, seine Verlobte verleugnet. Dafür ist  Morgana, die Schwester Alcinas, nach der ersten Begegnung mit dem vermeintlichen Jüngling in Liebe zu ihm entbrannt. Sie brüskiert damit wiederum ihren Liebhaber Oronte und Feldherrn Alcinas. Intrige, Rache, List, und die Kraft der Liebe bringen Alcinas Zauberkräfte zum Schwinden  und mit der Zerschlagung der Zauberurne letztendlich zur Vernichtung…

In Cottbus hat das englische  Team mit Sam Brown, der 2011 den Grazer „Ring Award“ und den „Europäischen Opernregie-Preis“ verliehen bekam, dem Bühnenbildner Simon Holdsworth, der in Tschechien geborenen und England tätigen Ilona Karas (Kostüm) und der Choreographin Rahel Lopez de la Nieta die Handlung  in ein Kaufhaus der 20er Jahre des vorigen Jahrhunderts verlegt, das sich anfangs wie eine an dunkler regennasser Strasse gelegene Trutzburg zeigt. Man meinte jeden Augenblick Sherlock Holmes um die Ecke biegen zu sehen. Aber es sind nur graue Gestalten, die bei  peitschendem Wind dem Regen trotzend, von dem Empfangschef des „Elysiums“, Oronte, (in der Premiere war Dirk Kleinke souverän zu erleben), inspiziert und durch eine Stechuhr registriert, Einlass finden. Hier treffen bereits Bradamante und ihr Begleiter Melissso (Ingo Witzke sang die Premiere) auf  die kapriziöse Morgana (Debra Stenlay ist die Rolle auf den Leib geschrieben), die sie zu Alcina  führt. Deren Reich zeigt  sich als ein grellbuntes von bonbonfarbenen Säulen getragenes Kaufhausinnere, in dem Hüte und Strümpfe, Uhren und Schmuck pfeilgeboten werden. Zwei rechts und links angelegte Treppen führen auf die obere Galerie, während im hinteren Erdgeschoss, durch Gitter getrennt, die Verzauberten wie Fensterpuppen abgelegt sind. Das ist und bleibt, bis am Ende das Innere des „Elysium“ förmlich aus dem Fenster katapultiert wird, Ort der Handlung .

Hier agiert und telefoniert Alcina, nicht als eine von Amors Pfeilen getroffene Magierin und das sich in Liebe zu Ruggiero verzehrende Weib, sondern als selbstbewusste umtriebige Managerin, die  ihre Angestellten wie Sklaven hält und kaum Zeit für Gefühle und Leidenschaft zu haben scheint. Hier preist im 1. Akt der Chor den „Himmel aller Wonnen“ und „die Stätte jeder Lust“. Versinken zwei  graugekleidete Stoffverkäuferinnen in Monotonie (welch Anreiz für den Kunden!). Wird der Knabe Oberto (Jeanette Wernecke mit erstaunlich jugendlichem Sopran) an einer langen Leine vorgeführt und am Ende zum Kampf mit dem als Löwe verzauberten Vater aufgefordert. Entdeckt die in ihrer Liebe etwas hausbackene Bradamante (die Altpartie von Marlene Lichtenberg bewunderungswürdig bewältigt) bei sich und Oronte die Eifersucht: „E´gelosia, forza è d`amore“ und sinnt  zeitweilig auf Rache dem treulosen Herz, “Vorrei vendicari del perfido cor“. Zürnt der Empfangschef seiner verschmähten Liebe Morgana und versöhnt sich mit ihr gegen seine Herrin Alcina. Nervt Melisso mit seinem „Vermisstendossier“ und steckt dem verblendeten Ruggiero, in Gestalt seines Erziehers, den Ring der Erkenntnis an den Finger. Besingt dieser, noch immer im Zweifel für welche der zwei Frauen er sich entscheiden soll, in der Dunkelkammer beim Bilderentwickeln die süßen Lippen seiner Braut, „la bocca vaga“ und betrauert gleichzeitig, zur Flucht bereit, mit der großartigen Arie „Verdi prati“ den trauten „Talgrund, Hain voll Anmut“ zu verlieren“.

Obwohl während der Premiere als indisponiert entschuldigt, hat der Tenor Alexander Geller, die für einen Kastraten oder Sopran angelegte Partie des Ruggiero mit beachtlicher Subtilität gemeistert.

Für die Rolle der Alcina ist mit Leila Salome Fischer, als Gast aus Berlin, eine junge bemerkenswerte Sopranistin verpflichtet worden, die sich aus dem ihr angelegten Korsett schwer zu lösen vermag. Der es aber letztendlich gelingt, den großen Arien:, -„Ah! mio cor!“ (Ach! Mein Herz), „Ombre pallide“ (Dunkle Schatten“), „Mi restano le lagrime“ (Mir bleiben nur die Tränen) in denen eine liebende und verschmähten Frau schmerzlich erkennen muss, dass mit dieser hoffnungslosen Liebe gleichzeitig ihre magische Kraft verloren geht, Tiefe und Überzeugungskraft zu verleihen.. Die Arien werden italienisch, die Rezitative deutsch gesungen.

Dass es Ivo Hentschel erreicht mit dem Orchester einen durchsichtigen Teppich sphärischer Klänge auszubreiten und dabei der Musik die Ruhe und Schönheit zu geben, die sie so erhaben macht, ist ein besonderes Plus der Cottbuser Aufführung, Das trifft auch auf die Choreographie zu. Wenn die acht Tänzer in ihren ausdrucksintensiven , synchronen Bewegungen die Dramatik der Musik optisch verstärken, stockt unwillkürlich der Atem.

 

 

Maria Brigitte Hanke

 

(Die nächsten Vorstellungen finden am 2. und 14. April, 1. Mai und 3. Juni statt.)

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