»Tradition und Innovation«: Die Berliner Staatskapelle blickt auf 444 Jahre Geschichte zurück

Umfangreiches Konzertprogramm in der neuen Spielzeit 2014/15

In der kommenden Spielzeit 2014/15 begeht die Berliner Staatskapelle ein Gedenkjahr ganz besonderer Art. Vor Jahren, 1570, wurde unter Kurfürst Joachim II. Hektor die erste überlieferte »Kapellordnung« des kurbrandenburgischen Hofmusikensembles schriftlich festgehalten. Diese zeitweilig künstlerisch sehr leistungsfähige Vereinigung hat sich nicht bruchlos fortentwickelt. Der Dreißigjährige Krieg beeinträchtigte ihre Arbeit sehr empfindlich. Erst unter dem »Großen Kurfürsten« und seinem Sohn, dem späteren ersten König »in« Preußen, Friedrich Wilhelm III./I., konnte sie sich wieder entfalten, um schon 1713 nach dem Machtantritt von dessen Sohn, dem »Soldatenkönig« Friedrich Wilhelm II., für mehr als ein Vierteljahrhundert vollständig aufgelöst zu werden. Erst unter Friedrich II., dem »Großen«, kam es in dessen Prinzenresidenzen Neuruppin und Rheinsberg und nach seiner Königskrönung 1740 auch in Berlin und Potsdam wieder zu einem ereignisreichen Aufstieg in das internationale Rampenlicht. Bereits 1742 erhielt Friedrichs Hofkapelle eine bedeutungsvolle Aufgabe im neuerrichteten Opernhaus Unter den Linden. Doch erst ein volles Jahrhundert später, 1842, kam es neben der Opernarbeit der Hofkapelle zu regelmäßigen Sinfoniekonzerten.

Von Haydn und Mozart bis zur Gegenwart

Heute nimmt das Konzertgeschehen in der Arbeit des 1918/19 offiziell zur »Staatskapelle Berlin« umbenannten Orchesters einen zentralen Platz ein und bewegt sich auf nicht geringerer Höhe als das Wirken der weiteren Berliner Spitzenorchester. Die längste Tradition vertreten die alljährlich acht Abonnementkonzerte, die jeweils an zwei aufeinander folgenden Abenden im Wechsel zwischen Philharmonie und Konzerthaus am Gendarmenmarkt stattfinden. Sie werden eröffnet am 2. und 3. September von Gustavo Dudamel am Pult und Daniel Barenboim am Flügel mit den beiden Klavierkonzerten von Johannes Brahms. Der erste Abend gibt als Sonderkonzert den Auftakt für das diesjährige Musikfest Berlin. Voraus geht am 31. August in der Philharmonie unter Daniel Barenboim mit Anna Netrebko als Solistin ein Benefizkonzert zur Sanierung der Staatsoper Unter den Linden mit den Vier letzten Liedern und der Sinfonischen Dichtung »Ein Heldenleben« von Richard Strauss. Drei weitere Konzerte am 13./14. Oktober, 3./4. Januar und 13./14. April dirigiert Barenboim persönlich mit Werken von Mozart, Tschaikowsky (dem Violinkonzert mit Lisa Batiashvili), Debussy, Sibelius, Bruckner, Schostakowitsch und Jörg Widmann, der selbst in der Solopartie seiner 2006 uraufgeführten Elegie für Klarinette und Orchester als Solist zu erleben ist. Im III. Abonnementkonzert leitet Paavo Järvi, Chefdirigent des Orchestre de Paris, ein Klavierkonzert von Mozart mit Maria Joao Pires in der Solopartie, Robert Schumanns »Frühlingssinfonie« und »Le tombeau resplendissant« von Olivier Messiaen. Zwei befähigte junge Dirigenten stehen am 15. und 16. Dezember mit Pablo Heras-Casado und am 26. und 27. Mai des kommenden Jahres mit David Afkham am Pult. Sie bringen Werke von Haydn, Beethoven (das 4. Klavierkonzert mit Saleem Ashkar), Strawinsky, Schostakowitsch (das Violoncello-Konzert mit Sol Gabetta) und Wolfgang Rihm. Das letzte der acht Konzerte leitet am 29. und 30.Juni 2015 der »Ehrendirigent« der Berliner Staatskapelle Zubin Mehta mit Gustav Mahlers 3. Sinfonie.

Vielzahl von Sonderkonzerten

Noch umfangreicher ist die Reihe der Sonderkonzerte, die die Staatskapelle in zumeist voller Besetzung zu verschiedensten Anlässen veranstaltet. Zwei von ihnen hatten wir bereits erwähnt. Adventskonzerte sind am 7. und 14. Dezember im Schiller-Theater zu erleben mit dem Kinderchor der Staatsoper, Mitgliedern des Opernstudios und der Staatskapelle unter Vincenz Weissenburger. Neben der Bach-Kantate 147, »Herz und Mund und Tat und Leben« erklingt das Oratorium »Die Kinder zu Bethlehem« von Gabriel Pierné. Der Jahreswechsel wird diesmal nicht mit Beethovens IX. Sinfonie begangen. Am Silvesterabend und am Nachmittag des Neujahrstages bietet Barenboim mit der Staatskapelle in Erinnerung an seine Geburtsstadt Buenos Aires im Schiller-Theater einen Querschnitt durch das reiche argentinische Tango-Repertoire, für den er den Mexikaner Rolando Villazón als Solisten gewinnen konnte. Am 29. Januar des kommenden Jahres dirigiert Ton Koopman im Konzerthaus einen Abend mit Werken von Johann Sebastian Bach und seinem jüngsten Sohn Johann Christian. Am 13. Februar leitet Plácido Domingo in der Philharmonie ein Sonderkonzert der Staatskapelle mit Rolando Villazón. Am 8. und 15. März folgen in der Philharmonie unter Barenboim zwei Konzerte mit Werken von Alban Berg im Gedenken an seinen 130. Geburts- und 80. Todestag. Als Solisten wirken die Sopranistin Anna Prohaska, der Bariton Thomas Hampson, der Geiger Pinchas Zukerman und der Pianist Yefim Bronfman mit. Für den 21. Juni um 13 Uhr ist wieder das seit Jahren von Tausenden besuchte Open Air Konzert »Staatsoper für Alle« auf dem Bebelplatz angekündigt. Am gleichen Tag gibt René Pape im Schiller-Theater, von Daniel Barenboim am Klavier begleitet, einen Liederabend zu seinem 50. Geburtstag und dem 25jährigen Jubiläum seiner Zugehörigkeit zum Ensemble der Berliner Staatsoper.

Im Brennpunkt der österlichen Festtage steht eine »Hommage à Pierre Boulez«, der am 26. März des kommenden Jahres sein neuntes Lebensjahrzehnt vollendet. Drei Konzerte unter seinem langjährigen engen Freund Barenboim mit den Wiener Philharmonikern, der Berliner Staatskapelle und dem West Eastern Divan Orchestra in der Philharmonie und ein Klavier-Recital im Schiller-Theater mit Michael Wendeberg geben vom 27. März bis zum 4. April des nächsten Jahres umfassend Einblick in sein reiches und vielgestaltiges Schaffen. Sie werden durch ein Duo-Recital von Gidon Kremer und Martha Argerich mit Werken von Ludwig van Beethoven und Mieszyslaw Weinberg ergänzt. Das Festival für neues Musiktheater »Infektion !«, das die Spielzeit vom 13. Juni bis zum 12. Juni beschließt, bietet am 4. und 7. Juli im Schiller-Theater ein Konzertereignis der besonderen Art unter dem Leitgedanken »When I am laid in earth. Barock trifft Gegenwart«. Mitglieder des Freiburger Barockorchesters und der Berliner Staatskapelle gestalten ein gemeinsames Programm mit Werken des 17. Jahrhunderts, u.a. von Henry Purcell, Thomas Tallis und Matthew Locke, und zeitgenössischer Musik von Isabel Mundry, Salvatore Sciarrino, Claus-Steffen Mahnkopf, Tohio Hosokawa, Brice Pauset, Klaus Huber und weiteren Komponisten.

Sieben Konzerte mit Klavier- und Kammermusik vereint ein »Barenboim-Zyklus«. Er wird am 29. September in der Philharmonie von seinem Namengeber mit Klaviersonaten von Franz Schubert eröffnet, von dem an den folgenden Abenden im Schiller-Theater, u.a. von András Schiff als Gast, noch einige weitere Werke erklingen. Das Gegenwartsschaffen ist mit Werken von Galina Ustwolskaja und Jörg Widmann vertreten. Weitere prägende Akzente setzen J. S. Bach, Mozart, Schumann, Brahms, Tschaikowsky, Dvorák und Alban Berg. Prominente Gäste neben András Schiff (am 15. April und 31. Mai) sind am 12. März Pinchas Zukerman und Yefim Bronfman. Nicht vergessen seien die Baustellenkonzerte, die Künstler der Staatsoper und der Staatskapelle im Mai und Juni des kommenden Jahres wieder an Orten veranstalten möchten, die es durch den Baufortschritt an der Lindenoper gestatten.

Das Rote Rathaus lädt zu Konzerten ein

Elf Kammerkonzerte mit Mitgliedern der Staatskapelle und der Orchesterakademie finden im Roten Rathaus statt. Sie wollen unter dem Thema »Krieg und Frieden« mit annähernd 40 Werken des 19. und 20. Jahrhunderts, von Haydn, Mozart und dem im Kampf gegen Napoleon gefallenen Prinzen Louis Ferdinand von Preußen bis hin zu Jehan Alain, der im zweiten Weltkrieg ums Leben kam, Olivier Messiaen, Ralph Vaughan Williams, Paul Hindemith, Bohuslav Martinu und Paul Dessau ein Stück aktueller Zeitgeschichte lebendig werden lassen. Einen Höhepunkt setzt die Orchesterakademie unter David Robert Coleman mit ihrem Kammerkonzert extra am 2. März 2015, in dem unter Mitwirkung der Gesangssolisten Katharina Kammerloher und Stephan Rügamer  Gustav Mahlers »Lied von der Erde« in der Kammerfassung von Arnold Schönberg zu hören sein wird. Vier Nachmittagskonzerte unter der Leitung von Stephan Mai und Matthias Wilke stehen unter dem Thema »Preußens Hofmusik« mit Werken von J. S. Bach (u.a. dem »Musikalischen Opfer« am 22. März), Musik des »vermischten Geschmacks« von Jean Baptiste Lully, Antonio Vivaldi und Johann Joachim Quantz am 1. Februar und »Telemann und sein Patensohn« Carl Philipp Emanuel Bach am 31. Mai. Das Rote Rathaus lädt überdies am Abend des 15. September zu einem Konzert des Kammerchors »Apollini et Musis« unter Günther Albers mit Axel Wilczok (Violine) und Isa von Wedemeyer (Violoncello) zu A-cappella-Werken und Kammermusik von Mendelssohn Bartholdy, Schumann und Brahms ein. Für den 28. Juni 2015 wird ein Nachmittagskonzert mit dem Kinderchor der Staatsoper vorbereitet.

Eine eigene Note tragen die Sonntags-Matineen im Bode-Museum, die am 16. November von der Orchesterakademie eröffnet werden. Sie stehen am 23. November im Zeichen der Bratsche, die zum »Instrument des Jahres 2014« erklärt wurde. Am 7. Dezember erklingen berühmte Doppelkonzerte des Barock von Corelli, Vivaldi, Telemann und J. S. Bach, am 10. Mai Meisterwerke europäischer Hofkomponisten von Telemann und Quantz bis Jan Dismas Zelenka und Joseph Haydns jüngerem Bruder Johann Michael. Das sechste Konzert am 22. Februar widmet sich dem seltenen Duo Harfe und Kontrabass mit Stephen Fitzpatrick und Otto Tolonen und Werken von Giovanni Bottesini, Zoltán Kodály, Serge Koussevitsky, Claus Kühnl und Jean Francaix. Am 24. Mai beschäftigen sich Beethoven, Weber und Chopin mit »Opernthemen«. Den Schlussakzent setzt am 14. Juni das Knobelsdorff-Ensemble mit Franz Schuberts Oktett.

Für Liederabende bietet das Gläserne Foyer des Schiller-Theaters eine einladende Atmosphäre. Sechs Veranstaltungen verzeichnet die Programmbroschüre der neuen Spielzeit. Am 13. November ist ein Abend der Mezzosopranistin Marina Prudenskaya, am Klavier begleitet von Elisaveta Blumina, mit Liedern von Rachmaninow, Weinberg, Schostakowitsch und Liszt zu erwarten. Am 9. Dezember singt Stephan Rügamer in Gemeinschaft mit Günther Albers Lieder von Richard Strauss, u.a. den »Krämerspiegel« op. 66. Am 3. Juni 2015 sind Roman Trekel und Oliver Pohl am Flügel mit Schuberts »Winterreise« zu erleben, am 8. Januar die Sopranistin Evelin Novak mit Liedern von Johannes Brahms, Richard Strauss sowie kroatischen und spanischen Komponisten. Am 28. Januar begegnen sich Katharina Kammerloher und der Bariton Arttu Kataja mit Günther Albers am Klavier in Liedern von Mahler, Brahms und Sibelius. Zum Abschluss vereinen sich Mitglieder des Internationalen Opernstudios am 29. Juni zu einem Liederabend extra. Hinweisen sollten wir noch auf einen Abend im Schiller-Theater rund um Heinrich Heine am 17. Januar mit Thomas Quasthoff, dem Bassbariton Florian Boesch und Justus Zeyen am Klavier, an dem neben gelesenen Texten Vertonungen von Schubert, Schumann und Liszt zu erleben sind. Jochen Kowalski präsentiert am 25. Februar mit dem »Salonorchester Unter’n Linden«unter Uwe Hilprecht eine Komposition des »Pierrot lunaire« nach Albert Giraud von Max Kowalski und Musik von Richard Wagner in Bearbeitungen für Salonorchester.

Die Saisonbroschüre der Staatskapelle verdient besondere Aufmerksamkeit. Sie informiert nicht nur umfassend über das gesamte Konzertprogramm der kommenden Spielzeit, sondern enthält auch eine Reihe sehr lesenswerter Texte. Generalmusikdirektor Barenboim wird in einer ausführlichen Darstellung seines Lebens und Wirkens und seiner vielfältigen Verdienste, auch auf politischem Gebiet, gewürdigt. Vier weitere Biographien gelten den »Ehrendirigenten« Otmar Suitner, Zubin Mehta, Pierre Boulez und dem »Principal Guest Conductor« Michael Gielen. Interesse finden dürften neben den Erläuterungen zu einem Teil der Konzerte auch die Gespräche mit Musikern der Staatskapelle und der Orchesterakademie und der sehr einprägsame Rückblick auf die ersten zehn Jahre des Berliner Musik-Kindergartens.

 

Wolfgang Hanke

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