Packende Entdeckungen im 2. FORUM-Konzert des RIAS-Kammerchores

Experimentierfeld großer Chorkunst

Seit neun Spielzeiten macht der RIAS-Kammerchor in Berlin mit seinen FORUM-Konzerten von sich reden. An zum Teil ungewöhnlichen Orten veranstaltet, haben sie sich als ideales Experimentierfeld selten zu hörender und wiederentdeckenswerter Chorkunst vom Mittelalter bis zur Gegenwart erwiesen und zumeist nachhaltigen Widerhall gefunden. Das gilt auch für den zweiten der vier Abende in der gegenwärtigen Spielzeit. Er fand drei Tage nach dem Ewigkeitssonntag in der Berliner Marienkirche statt und erhielt sein Leitmotiv durch das monumentale Totentanzfresko in deren Turmhalle.

Seinen Höhepunkt erlebte der tief bewegende Abend mit dem Madrigalzyklus zu einem imaginären Totentanz für vier Solostimmen und Renaissance-Instrumente nach biblischen und anderen Texten, „Schlag an mit deiner Sichel“, den der heute 81-jährige Schweizer Komponist Rudolf Kelterborn vor rund drei Jahrzehnten für den Südwestfunk geschaffen hatte. Sabine Wüsthoff am Dirigentenpult schöpfte die einzigartig packende Ausdrucksgewalt der sieben Sätze voll aus und zwang die Zuhörer mit ihrer wahrhaft hinreißenden Interpretation zu begeistertem Beifall, aber auch tiefem Nachdenken.

Vorausgegangen war, von nur vier Gesangssolisten ohne Dirigenten auffallend verhalten an wechselnden Orten der Kirche vorgetragen, Guillaume de Machauts Messe de Nostre Dame. Die fünf Sätze dieses möglicherweise 1364 für eine Königskrönung in Reims komponierten Gipfelwerkes und die beiden anschließend zu erlebenden, mehr als ein Jahrhundert später entstandenen Motetten des großen Renaissancemeisters Josquin Desprez wurden jeweils unterbrochen durch Lesungen der Berliner Schauspielerin und Hochschuldozentin Tina Engel aus dem Gedichtzyklus „Totentanz“ von Norbert Hummelt. Sie hatte es ohne Mikrofon und Lautsprecher leider nicht leicht, die diffizilen akustischen Probleme des weiten Kirchenraumes zu bewältigen.

Wolfgang Hanke

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