Nachruf auf Peter Sodann – Brief an einen Freund

Bilder der Vergangenheit jagen sich, ballen sich, fließen wieder auseinander, verdichten sich zu neuen Erinnerungen, die wiederum von anderen verdrängt werden. Ja, lieber Ruben, du wunderst dich über meinen Erinnerungsrausch. Aber mich bewegt noch immer der Tod eines Menschen, von dem ich wichtige Denkanstöße erhalten habe.

Es ist der wunderbare Schauspieler, Intendant, Freigeist, der Verwalter willkürlich auf den Müll geworfenen Kulturerbes, Peter Sodann. Als „Tatort“-Kommissar Paul Ehrlicher hat er 15 Jahre lang mit seiner Streitbarkeit, seinem tiefsinnigen Humor, seiner liebenswürdigen Schrulligkeit und seinem jungen, erfrischenden Kollegen Kain, dem treuen Freund Michael Lade, die Herzen vieler Zuschauer erobert.

Persönlich kennengelernt habe ich ihn allerdings schon Jahrzehnte zuvor; in Leipzig, in der Grimmaischen Straße, in den unterirdischen Gewölben der renommierten „Buchhandlung Genth“. Im zweiten Untergeschoss des Hauses hatten „Die Spötter“ ihr Domizil. Ein Kabarett, das Peter Sodann, damals noch Student an der Theaterhochschule, leitete.

Geprobt wurde zu dieser Zeit für das Stück „Wo der Hund begraben liegt“. Mir war damals, als noch blutjunger Buchhändlerin, das Antiquariat anvertraut. Der „Giftkeller“, dort wo die angekauften Bücher gelagert und sortiert wurden, „was darf verkauft werden, was ist nicht erlaubt“, lag im 3. Untergeschoss. Mein Weg führte also am Satirekeller vorbei.

Es musste kommen, wie es nicht sollte, ein Stapel Bücher fiel aus dem Behälter, den ich vor mir herschleppte, auf die Erde. Vom Krach aufgeschreckt erschien ein junger Mann, der glaubte, ich wolle mich mit diesem Gag für sein Kabarett bewerben.

Immerhin konnte ich ihm im Laufe unserer intensiven, kurzen Gespräche meine Zweifel antragen, ob es mir denn auch gelingen würde, die richtigen Bücher auszusortieren. Was ist die falsche, was die wahre Literatur? Mich hat seine Geradlinigkeit, die Weitsicht imponiert, sein auf das Ziel gerichtete Denken, ein Mensch, der nicht nachspricht, was andere falsch gedacht haben.

Die Begeisterungsfähigkeit, nicht nur für die Literatur, und der unverkennbare Gerechtigkeitssinn spornten mich an, Dinge zu hinterfragen und den eigenen Weg zu finden und zu gehen. Ja, Peter Sodann festigte meine noch zaghafte Erkenntnis, dass uns Bücher immer etwas zu sagen haben und damit ihre eigene Geschichte hätten.

Seine kurz darauf vollzogene Verhaftung wegen konterrevolutionären Gedankengutes ließ das Blut in meinen Adern stocken. Da war ich wieder ganz bei ihm mit der Aussage: „Die Welt ist ungerecht.“

Er, aus einer Arbeiterfamilie stammend, der Vater im Krieg gefallen, hatte eine Ausbildung als Werkzeugmacher absolviert und auf der Arbeiter- und Bauernfakultät das Abitur abgelegt. Später tauschte er das Jurastudium mit dem des Schauspiels. „Kultur“ wurde in der DDR großgeschrieben. Er hatte damit also alle Voraussetzungen, die der Staat an seine Bürger stellte, erfüllt.

Was stimmte da nicht? Und ich spürte wieder den Schmerz, denn die „Zuträger und Anschwärzer“ hatten auch meine Familie im Griff. Wie dankbar war ich, als ich ihn nach 9-monatiger Haft und dem Abschluss des Studiums, wenn auch nicht lange, am Berliner Ensemble erleben durfte. Ich hatte den Wechsel Leipzig-Berlin bereits vollzogen. Und obwohl damit im Zentrum der Macht, war die kulturpolitische Lage eine weitaus günstigere als im engstirnig regierten Leipzig.

Große Hochachtung zollte ich Peter Sodann, als ich von seinen spektakulären Aktivitäten hörte. Dort, wo Kulturräume abgeschafft wurden, hat er neue geschaffen. Als nach der deutschen Wiedervereinigung Tausende von Büchern auf dem Müll landeten, hat er die einmalige Initiative ergriffen, sie zu retten und zu bewahren. Die daraus entstandene Peter-Sodann- Bibliothek umfasst inzwischen drei Millionen Bücher, die in den Jahren zwischen 1945 bis 1990 verlegt wurden.

„Es gibt nur eine Möglichkeit, diese Erde in irgendeiner Weise zu retten: durch Bildung und Kultur.“ Dieser Gedanke des weitsichtigen, streitbaren Demokraten hat sich mir tief eingeprägt. Er hätte uns noch viel zu sagen gehabt, uns immer wieder ermuntert. Ich halte mich an seinen Ausspruch: „Lachen kann emanzipatorisch sein, befreiend wirken, es kann zum Nachdenken anregen“ und ist auf alle Fälle gesund.

Am 5. April starb Peter Sodann im Alter von 87 Jahren in seiner Wahlheimat Halle an der Saale.

Glanzvoller Abend mit Chopin beim Neujahrskonzert im Forster Kompetenzzentrum

Der Pianist Daniel Seng gastierte in der Rosenstadt Forst/Lausitz im Kompetenzzentrum am 12. Januar 2024

Der Pianist Daniel Seng spielt das Neujahrskonzert im Kompetenzzentrum von Forst/Lausitz

Der Pianist Daniel Seng spielt das Neujahrskonzert im Kompetenzzentrum von Forst/Lausitz (Foto: Sabine Lindner)

Höchstes Können, Beherrschung und Leidenschaft zeichnete das diesjährige Neujahrskonzert im festlichen Ambiente des Forster Kompetenzzentrums aus. Begeisterten im vergangenen Jahr die Berliner Musikerinnen Les Troizettes »Trio wider Willen« mit einem humorvollen Programm, war es in diesem Jahr ein junger Virtuose aus Berlin, der Pianist Daniel Seng, der die Besucher in den Bann zog und sie am Ende wieder zu stehenden Ovationen veranlasste.

»Die Musik drückt das aus, was nicht gesagt werden kann und worüber zu schweigen unmöglich ist.«

Ein »sehr schönes Konzertprogramm« postete ein befreundeter Musiker aus Uruguay, nachdem er von dem Abend erfahren hatte. Wahrlich, der 1988 in Wuppertal geborene Preisträger internationaler Wettbewerbe, Daniel Seng, der sein Studium in Köln und Berlin mit Bravour absolvierte und in Rostock sein Master- und Konzertexamen ablegte, wo er inzwischen einen Lehrauftrag innehat, war mit einer sehr eindrucks- und anspruchsvollen Stückauswahl nach Forst gekommen. Sie galt ausschließlich dem polnischen Komponisten, dem »größten Klassiker unter den Romantikern«, mit französischem Namen, der, so jung, mit 39 Jahren, in Paris starb. Sie galt dem feinfühligen Künstler und seinem ausschließlich auf das Klavier begrenzten Schaffen, dem »Frühbegabten und Frühvollendeten«, dem Genie und Weltenbürger Frédéric Chopin, dessen 175. Todestag wir am 17. Oktober begehen. Kein Geringerer als der gleichaltrige Robert Schumann hatte die bahnbrechende Leistung Chopins auf dem Gebiet der Klaviermusik erkannt, als er sich zu der Begrüßung hinreißen ließ: »Hut ab, meine Herren, ein Genie.« Auch der französische Komponist und Musikkritiker Hector Berlioz äußerte sich bewundernd: »Als Interpret und Komponist von ganz besonderer Art ist er in keiner Weise zu vergleichen mit irgendwelchem anderen Musiker, den ich kenne. Man findet harmonische Verbindungen von überraschender Tiefe, in manchem seiner Werke hat er eine Art dramatischer Rankenwerke geschaffen, deren Wirkung so fremd und reizvoll ist, dass man sie unmöglich beschreiben kann.«

Diese farbenreichen Klavierstücke, so erzählte Daniel Seng, hätten ihn schon als Fünfjährigen so fasziniert, als er vom Vater den ersten Klavierunterricht erhielt und die Chopin-Einspielungen von Maurizio Pollini hörte, dass er sich wünschte, sie auch spielen zu können. Dass ihm das gelungen ist, bewies er an diesem Abend im Forster Kompetenzzentrum. Schon mit der »Perle«, der eindrucksvollen As-Dur-Polonaise von 1842, wusste er die Zuhörer auf seiner Seite. Die nachfolgenden melodisch träumerischen Nocturnes (Nachtstücke) und die in ihrem Einfalls- und Klangreichtum von pulsierender Zartheit bis ausladender Energie, in ihrer Kraft und Schönheit unvergleichlichen Etüden, von denen der Künstler vierzehn darbot, taten ihr Übriges. Diese Klavierdichtungen, deren erster Zyklus, op. 10, Franz Liszt gewidmet ist, gehören bei Weitem nicht nur zu den bedeutendsten Werken des polnischen Komponisten. Sie sind gleichzeitig ein Zeugnis für das bleibende Vermächtnis von Chopins Kunstfertigkeit, das Generationen von Pianisten dazu inspiriert hat, nach Spitzenleistungen in ihrem Handwerk zu streben. Das »Genie am Klavier«, Anton Rubinstein, hatte an seinem Lebensende fast alle Chopinwerke eingespielt, mit einer einzigen Ausnahme, die 24 Etüden. »Ihnen gerecht zu werden, ist eine höchst schwierige Aufgabe, die anzugehen ich nicht den Mut hatte.« Daniel Seng ist die Aufgabe angegangen, die Gipfelwerke der Kunst zum Sprechen zu bringen. Seine Einspielung wird demnächst auf CD vorliegen. Einen Vorgeschmack darauf bot der Abend im Kompetenzzentrum. Er wird noch lange nachklingen, denn selten habe ich das Prélude op. 28 Nr. 1, als Regentropfen-Prélude bekannt, so zurückgenommen und berührend seelenvoll erlebt, wie an diesem Neujahrskonzertabend in der Rosenstadt Forst.

Von großer Wahrhaftigkeit und Intelligenz – der Tenor Werner Güra

Lieber Rubén,

wenn du Werner Güra als einen deiner drei Lieblingstenöre auserkoren hast, zeigt das doch dein so ausgezeichnetes Gespür für musikalische Qualität.

Was kann ich dem entgegensetzen? Dir nur danken, dass du mich dazu gebracht hast, mir die Abende mit einem so exzellenten, von großer Wahrhaftigkeit und Intelligenz getragenen Sänger zu beglücken. Für den Dank reichen nicht mal „Tausend Grüße“.

Obwohl Walter Güra an der Berliner Staatsoper unter Daniel Barenboim gastiert hat, habe ich ihn bisher leider nicht live erleben können

Aber alles, was ich mir im Internet angehört habe, hat mich fasziniert, so begeistert und in den Bann gezogen, dass ich das Essen und Schlafen fast vergaß.

Nie habe ich den „Taucher“ Schiller/Schubert in dieser ungeheuren, packenden, an die Grenzen gehenden Dramatik erlebt, wobei auch der großartige Christoph Berner am Flügel seinen Anteil hatte. Er ist wohl zur Zeit der ständige Liedbegleiter.

Ja, Werner Güra beherrscht nicht nur, wie kaum ein anderer, die hohe Kunst des Liedgesanges. Er besticht geradezu durch seine fließende, unangestrengte, intensive Gestaltungskraft noch in den leisesten Tönen. Er singt nicht nur die Töne. Er nimmt sich auch Zeit für deren Ausdeutung und die Präsens der Worte. Er gibt jedem von ihnen den Wert, den es braucht. Als gäbe er jedem einen Körper, eine Seele.

Er lässt dadurch den Zuhörer erbeben oder lieben, fröhlich sein oder trauern. „Wenn ich ein hübscher kleiner Vogel wär,“ kommt so leicht daher und lässt Flügel wachsen.
Ja, er nimmt durch seine differenzierte, fließende, unspektakuläre Gestaltung, seine stimmlich Varianz mit in die dunklen und hellen Sphären. Er scheut sich nicht an die Grenzen zu gehen, ohne sie jedoch zu übertreten. Ein grandioser Sänger, der auch als Evangelist in den Oratorien von Johann Sebastian Bach eine Intensität an den Tag legt, die unter die Haut geht und seine Größe und Wahrhaftigkeit beweist

Herzliche Grüße aus  Berlin 
Maria

DIE HEILENDE KRAFT
DER MUSIK

Da es gab in Brandenburg Frost
musste man reisen sehr schnell nach Forst.
Die selbstgezogenen Oleander, welch Schrecken,
Sie konnten sich in keiner Ecke verstecken.
Man rettete sie in letzter Not, war danach lechzend nach Wärme und Brot.
Doch beides fehlte
leider sehr
Da musste heilbringende
Musik her
Die nur konnte helfen, ohne Plage,
So machte sie dann
„die Nacht zum Tage“
Es ertönten 🎧oh, was für eine Gewinn 🎼🎻
Lieder mit einer tollen Stimm
Werner Güra war der Sänger.
Er ließ frieren
nicht länger
Die wunderbare Stimme,
Sie hat beglückt,
In ihrer Ausdrucksgewalt,
Mit ihren leisen Tönen
Ist es was zum Angewöhnen
Sie hat nicht bedrückt,
Vielmehr entrückt,
legte „Erinnerungen“ frei,
Ließ vergessen, dass man müde und frösteln sei.

 

Duo Vistél begeisterte im Kammermusiksaal der Philharmonie in Berlin

Er  ist ein Unikat mit den  Spontan-  und Sonntagskonzerten, der Reihe „Klassik um 11“ und  er ist inzwischen zu einer festen Institution im Berliner Kulturleben geworden: der CelloMusikSalon in der Leipziger Straße 61, unweit des Gendarmenmarktes. Der kubanische Cellist  Douglas Vistél und die Pianistin Almuth  Kraußer-Vistél…haben mlt ihm einen liebenswerten feinen, kleinen  Raum geschaffen, in der nicht nur Musik gehört, sondern auch  erlebt und gelebt wird,, einen  Ort für die Seele.

Botschafter der Cellomusik

12. November beging das „Duo Vistél“ mit einem Konzert  im Kammermusiksaal der Philharmonie.ihr 30jähriges Bühnenjubiläum.

Liebe Almuth, lieber Douglas,

Danke, danke, das war ein bewegender und beglückender Abend,  am 12.11. im Kammermusiksaal der Philharmonie. Jeder, der ihn erleben konnte, wird ihn nicht so schnell vergessen. Meine herzlichsten Glückwünsche zu eurem bedeutsamen Jubiläum. Das soll euch mal einer nachmachen. Ein steiniger, entbehrungsreicher und mühevoller Weg, getragen von dem Glauben an die Musik, hat euch zu diesem Höhepunkt geführt. Großer Respekt dafür, Hochachtung und Bewunderung. Mit eurem Beispiel drückt ihr die Kraft der Musik aus, die auch mir immer wieder neuen Mut  gab und gibt.  Wie viele Durststrecken gab es, wie viele Entbebrungen. Ihr habt sie auf euch genommen, ohne staatliche Hilfe. Das mache mal einer nach. Nein, ihr habt nicht aufgegeben. Ihr hattet  mit eurem Konzept immer das Ziel  vor Augen; die Cellomusik Jedermann nahe zu bringen.

Seid nochmals   beglückwünscht und bedankt, dass ich so unverhofft an dem Jubiläumskonzert teilnehmen durfte.

Da ich einen exzellenten Platz hatte, konnte ich nicht nur gut hören, sondern euch auch auf die „Finger gucken“.

Du, liebe Almuth, spieltest in den ersten beiden Stücken für mich um euer Leben, mehr ging nicht. Es war absolut..Wie hast du das gemeistert.!! Euer ganzes bisheriges Leben lag in eurem Spiel. Douglas; der ja immer wieder mit seinen intensiven;; warmen von musikantischer, großherziger Begeisterung getragenen Ton und sein „ohne Noten Spielen“ besticht, wurde geradezu mitgerissen. Das ergab das wundervoll Ganze.

Ja, und der Brahms. Deine Kompositionen, lieber Douglas, sind so voll musikalischem Feuer.

Die Freude war für mich schon groß, als ich an der Kasse die lange Schlage stehen sah. Inzwischen habt ihr ja eine enorme Fangemeinde. An der Bushaltestelle hörte ich, wie eine Gruppe mit großer Begeisterung über eure Silverstermusik sprach. Ja, die Leipziger Straße 61 ist für viele Menschen nicht nur eine musikalische Heimat geworden.
Schön, dass es euch gibt.Weiter so. Auf eine gute Zukunft.

Maria Brigitte

Der RIAS Kammerchor im Dreivierteltakt

„Liebesreigen“ Johannes Brahms‘ im Spiegel seiner Zeitgenossen

Flexibilität und legendäre Wandlungsfähigkeit zeichnet den exzellenten Chor aus

Konzert des Rias Kammerchors am 5.12.2019 (Screenshot: J.-Chr. Hanke)

Am 5. Dezember 2019 stimmten der RIAS Kammerchor und die Akademie für Alte Musik unter Justin Doyle im Berliner Konzerthaus am Gendarmenmarkt mit Kantaten von Johann Sebastian Bach auf die Advents- und Weihnachtszeit ein. Die begeisterten Zuhörer dankten es mit lang anhaltendem Beifall. Eine Woche zuvor bewies der exzellente Chor in seinem zweiten Abonnementkonzert in der Berliner Philharmonie mit „Liebesreigen“- Johannes Brahms im Spiegel seiner Zeit, erneut sein großes musikalisches Spektrum, die Biegsamkeit und farbenreiche Leuchtkraft der Stimmen, auch in den Soli, seine Flexibilität und legendäre Wandlungsfähigkeit.

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Robin Ticciati mit dem Deutschen Symphonie-Orchester auf neuen Wegen

Mozarts drei letzte Sinfonien auf Darmsaiten und Instrumenten ohne Ventil

Es war ein Erlebnis der besonderen Art. Ein Abend, der nachklingt. Das Deutsche Symphonie-Orchester bot unter seinem Chefdirigenten und künstlerischen Leiter, Robin Ticciati,  die drei letzten Sinfonien, die Wolfgang Amadeus Mozart in einer ökonomischen Krise im Sommer 1788, in der unglaublichen Zeit von nur neun Wochen, komponiert hatte. Der dynamische Dirigent, unlängst für seine musikalischen Verdienste zum „Officer of the Order of British Empire“ gekürt, verabschiedete sich mit einer verkleinerten Orchesterbesetzung von zehn Ersten, acht Zweiten Violinen, je sechs Bratschen und Violoncelli sowie 5 Kontrabässen von festgefügten Aufführungstraditionen der meisten Konzertorchester. Und er ließ, um einen warmen, facettenreichen Klang zu erlangen, die Streicher auf Darmsaiten und die Bläser auf schlanker klingenden Naturhörnern und Naturtrompeten spielen. Für die Ensembles Alter Musik gängige Praxis. Für das DSO  Berlin ein nicht zu unterschätzender Wagemut und eine Herausforderung.

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Beifallskundgebungen für Siegfried Matthus nach der Uraufführung seiner Oper „Effi Briest“ am Cottbuser Jugendstiltheater

Thomas Mann schrieb am 25. Dezember 1919 zum 100. Geburtstag Theodor Fontanes im Berliner Tageblatt über dessen Roman „Effi Briest“: er sei des Dichters „modernstes Werk, das am deutlichsten über die bürgerlich realistische Epoche hinaus in die Zukunft weist.“ Diese bewegende weibliche Leidensgeschichte der Weltliteratur mit tödlichem Ausgangs hat u.a. immer wieder zu Adaptionen für Bühne und Film gereizt. Nun also 100 Jahre später eine musikalische Umsetzung des Meisterwerks, eine Oper von Siegfried Matthus.Sie erlebte am 19. Oktober in der Regie von Jakob Peters-Messer, musikalisch geleitet von Alexander Merzyn, am Staatstheater Cottbus ihre Uraufführung.

Bemerkenswerte Liudmila Lokaichuk

„Effi Briest“ ist nicht die erste Fontane-Oper des anerkannten und theatererfahrenen Siegfried Matthus. Mit Blick auf den 200. Geburtstag des Märkischen Dichters hatte der inzwischen 85jährige vorausschauende Komponist Matthus bereits die „Grete Minde“ vertont. Die Oper wurde vor fünf Jahren zu den Fontane-Festspielen in Neuruppin uraufgeführt. Für beide Werke hat Frank Matthus, Sohn des Komponisten, das Libretto verfasst. Für beide stand die in ihrer Gestaltungskraft und musikalischen Umsetzung bemerkenswerte junge russische Sängerin zur Verfügung: Liudmila Lokaichuk. Siegfried Matthus hat sie bereits  für die Kammeroper Rheinsberg entdeckt und ihr die Effi quasi „auf den Leib geschneidert“.

Berührendes Psychogramm einer zerbrochenen Seele

Inzwischen ist die vielversprechende Sopranistin an der Oper Halle engagiert, gastiert aber weiterhin in Cottbus. Ihre hinreißende Darstellung der Effi ist von großer Intensität, Sensibilität  und Überzeugungskraft. Liudmila Lokaichuk spielt den unerfahrenen, lebensfrohen 17jährigen Wildfang, den die Mutter an den Baron von Innstetten verkuppelt, der einst selbst um deren Hand angehalten hat, ebenso lebensnah wie die durch gesellschaftliche Ächtung an gebrochenem Herzen zu Grunde gehende junge Frau. Sie bietet ein berührendes Psychogramm einer zerbrochenen Seele.

46 filmschnittartige Kurzszenen

Es ist kein leichtes Unterfangen ein Prosawerk in seiner Vielschichtigkeit in eine knappe dramatische Form zu bringen. Das Duo Matthus hat es verstanden in 46 filmschnittartigen Kurzszenen mit musikalischen Zwischenspielen den Handlungsverlauf des Romans so originalgetreu wie möglich wiederzugeben. Epilog und Nekrolog umrahmen die Handlung. Sie zeigen die Eltern am Grab ihrer Tochter Effi mit der Frage nach der eigenen Schuld an deren frühem Tod. „Es ist ein zu weites Feld“, resümiert der Vater.

Das Bühnenbild von Guido Petzold, ein halbhohes Wandsegment, gleich einer Klagemauer, und die Lichteffekte ermöglichen mit den Kostümen von Sven Bindseil einen schnellen Wechsel der Szenen und verweisen auf die jeweilige Gefühlslage der Personen-

Oper der leisen Töne

„Effi Briest“, das Alterswerk von Siegfried Matthus, ist eine Oper von großer Schlichtheit. Eine Musik der leisen Töne, der Stille. Es sind musikalische Miniaturen, auch Orgelklänge, die auf das Geschehen hinführen und sie zu einem Abgesang an das Leben erscheinen lassen. Dieses findet ebenso am Dirigentenpult, in der Inszenierung und in den 23 solistischen Gesangsrollen eine adäquate Umsetzung.

Leider war der Crampas, auch in der Ausstrahlung etwas zu grau. Martin Shalita konnte in der Uraufführung den Part wegen Stimmversagens nur spielen. Dem Apotheker Gießhübler, von Christian Henneberg mit Noblesse verkörpert, hätte man eher den Fehltritt Effis abgenommen. Andreas Jäpel begeisterte als überzeugender Baron von Innstetten, als Mann von Charakter, der sogar als Vater zärtliche Momente zeigen kann, jedoch, Verfangen in den Wertvorstellungen seiner Zeit, die gesellschaftlichen Konventionen nicht zu durchbrechen vermag. Carola Fischer als die warmherzige Kinderfrau Roswitha wird mir ebenso lange im Gedächtnis bleiben.

Wer Fontanes „Effi Briest“ im Schnelldurchlauf kennenlernen will, sollte nach Cottbus fahren.

Weitere Aufführungen stehen am 24.10., 31.10., 22.11. und 21.12.auf dem Spielplan.

 

Grandioses, lange verschollenes Alterswerk von Heinrich Schütz „Der Schwanengesang“ in faszinierend ausdrucksstarker, facettenreicher Darbietung

Heinrich Schütz` ergreifende Vertonung des 119. Psalms, die er zusammen mit dem 100. Psalm und dem Deutschen Magnificat als „seinen Schwanengesang“ bezeichnete,1671, ein Jahr vor dem Tod, für die zwei Emporen der Dresdner Schlosskirche beendet, fand im Kammermusiksaal der Berliner Philharmonie mit dem Rias Kammerchor und der von Katharina Bäuml geleiteten Capella de la Torre unter Justin Doyle eine musikalisch archaische wie brillant farbenprächtige Umsetzung und ein dankbares Publikum.

Es war ein Abend, der lange im Gedächtnis bleibt. Mit diesem bewegenden, von tiefem Humanismus und großer Religiosität getragenen Opus ultimum eröffnete der Chor, der von einer britischen Zeitschrift zu den zehn besten der Welt gekürt wurde, und sein Chefdirigent und künstlerischer Leiter, Justin Doyle, die Konzertsaison 2019/20. Mit diesem erhabenen Programm bestritt der Rias Kammerchor als „artist in residence“ auch am 4. Oktober das Eröffnungskonzert des jährlich stattfindenden Heinrich Schütz Musikfestes in Gera. Hier hatte Justin Doyle als Besonderheit seinen diesjährigen Patenchor, den Konzertchor des Geraer Goethe-Gymnasiums/Rutheneum, einbezogen..

Eine Aufführung des 13-teiligen Schwanengesangs war zu Lebzeiten des Henrici Sagittarius, so der latinisierte Name seit dem ersten Venedigaufenthalt und der Begegnung mit dem verehrten Lehrer Giovanni Gabrieli in San Marco, wohl nicht zustande gekommen. Es fehlt auch der Nachweis, dass die 176 Verse des 119. Psalms, die Schütz in elf konzertierenden doppelchörigen Motetten mit basso sequente und den Gloria-patri-Schlüssen („wie es war im Anfang“) als symbolische Vertonung der Bibel zusammenfasste, später zur Kenntnis genommen worden waren, obwohl ihm daran gelegen haben muss. Denn ohne Erfolg soll er noch kurz vor dem Tod seinen Adlatus Constantin Christian Dedekind ermutigt haben die Motetten mit einer Ad-libitum-Instrumentierung zu versehen, wie er es von dem geschätzten Michael Praetorius kannte. Doch der Zeitgeschmack hatte sich gewandelt, und der Schwanengesang galt für die Nachwelt Jahrzehnte als unwiederbringlich verschollen.

Erst im Jahre 1900 geschah das Wunder. In der Neißestadt Guben war man bei einer Generalinventur des Pfarrarchivs der dortigen Stadt und Hauptkirche auf sechs der ursprünglich neun Stimmbücher des gewaltigen Opus ultimum von Heinrich Schütz gestoßen. Der bekannte Schriftsteller Stefan Zweig konnte 30 Jahre später in einem Kölner Antiquariat ein siebentes Stimmnbuch mit der Orgelstimme erwerben. Doch nach dem zweiten Weltkrieg waren diese Funde wieder spurlos verschwunden. Über dreißig Jahre später konnte sie Wolfram Steude in der Landesbibliothek Dresden unter zurückgekehrtem aber noch nicht archiviertem Auslagerungsgut wieder aufspüren. Die zwei fehlenden Stimmbücher, Sopran und Tenor aus Chor II , blieben weiterhin verschollen. 1981 gab es in Dresden die erste von Wolfram Steude rekonstruierte Uraufführung des polyphonen Meisterwerks und 1984 erfolgte der Erstdruck innerhalb der „Neuen Schütz Ausgabe“ im Deutschen Verlag für Musik in Leipzig.

Hans Christoph Rademann, der Vorgänger von Justin Doyle als Chefdirigent des Rias Kammerchores, hat im Jahr 2000 eine Aufnahme mit dem Dresdner Kammerchor und dem Ensemble „Alte Musik Dresden“ im Label Raumklang herausgebracht, die die Leipziger Edition von 1984 zur Vorlage hatte. Sie zählt in ihrer bewegten Schlichtheit bislang zu meinen ganz besonderen Schätzen.

Inzwischen veröffentlichte 2017 der Carus Verlag in Stuttgart eine quellenkritische Schützausgabe mit den Ergänzungen ihres Herausgebers Werner Breig, der sich Justin Doyle und Katharina Bäuml für ihren Abend zur Saisoneröffnung des Rias Kammerchores verpflichteten. Sie konnten damit dem grandiosen ergänzten Torso durch eine facettenreichere Instrumentierung der Singstimme ein neues farbenreiches Klangsspektrum verleihen.

Der hochartifiziellen Musik von überzeitlicher Gültigkeit des Heinrich Schütz haben Werke von Giovanni Gabrieli, Michael Praetorius und Giovanni Bassano einen zusätzlich erhabenen Glanz verliehen.

 

Maria Brigitte Hanke

Puccinis Turandot am Cottbuser Staatstheater: stehende Beifallsbekundungen

Staatstheater Cottbus
TURANDOT
Oper von Giacomo Puccini
Szenenfoto mit: (im Vordergrund) Soojin Moon (Turandot) und Martin Shalita (Calaf); (im Hintergrund) Ulrich Schneider (Timur)
© Marlies Kross

Puccinis letzte  Oper „Turandot“ wurde nach 90 Jahren erstmals wieder am Cottbuser Staatstheater inszeniert.

Das Premierenpublikum war begeistert. Mit stehenden Beifallsbekundungen  bedankte es sich am vergangenen Sonntag, nicht nur bei den Hauptdarstellern, für einen abwechslungsreichen, gelungenen Opernabend