Dr. Ralf Beil ist seit Februar 2015 Direktor des innerhalb von 20 Jahren internationale Ausstrahlung erlangten Hauses
An der Kürze der Fahrt gemessen, könnte Wolfsburg ein Vorort von Berlin sein. Dass die durch „Volkswagen“ emporgewachsene, geprägte und in die Schlagzeilen gekommene Stadt an der Aller 120 000 Einwohner zählen soll, vermutet man nicht, wenn man von der Bundeshauptstadt kommend auf dem Bahnhof eintrifft. Doch der Service in der Tourist-Information ist großstädtisch. Und die Kunsthalle mit dem Japangarten im Innenhof, die in ihrer grauen Erhabenheit die Sternwarte in unmittelbarer Nähe überragt, unterstützt dieses Empfinden. Sie wurde von dem Hamburger Architekturbüro Schweger und Partner als offene, transparente Stadtloggia mit einem weit überspannenden Glasdach auf dem Hollerplatz konzipiert. Die 16 Meter hohe zentrale Halle, an drei Seiten von variablen Ausstellungsräumen umgeben, und die separate zweigeschossige Galerie bieten den Kuratoren und Museumsarchitekten ungeahnte Möglichkeiten.
Das von einer gemeinnützigen Stiftung getragene Kunstmuseum, das sich von Anbeginn als Forum der Künste und des Lebens versteht, weiß sich zu präsentieren. 1994 feierte es die Eröffnung mit einer Retrospektive des französischen Malers und Graphikers Fernand Léger. Seitdem wurden über 125 Ausstellungen gezeigt. Zum 20jährigen Jubiläum, war es die Schau „Oskar Kokoschka, Humanist und Rebell, die das Publikum in seinen Bann zog. Immer wieder präsentierte sich das Museum als „weltoffene Schaubühne“ mit kontrastreichem Programm, großangelegten historischen und thematischen Ausstellungen: Japan und der Westen, 2007, ArchiSkulptur; Interieur/Exterieur, umfangreichen und kleineren Werkschauen von Künstlern wie Bart van der Leck, Andy Warhol, Olafur Eliasson, Rebecca Horn, Alberto Giacometti, Neo Rauch, Frank Stella, Roy Lichtenstein.
Bis zum 13. September diesen Jahres war es der österreichische Bildhauer Erwin Wurm, „der Meister des großartig Unzweckmäßigen“ der u.a. in der zentralen Ausstellungshalle mit Fichte den Märchen- und Mythenwald der Deutschen Kopf stehen ließ. Parallel dazu lotete Walk The Line die Artikulationsmöglichkeiten zwischen Bild und Schrift, zwischen Fläche, Linie und Raum aus, zeigte, dass Zeichnen auch „Denken mit dem Stift“ bedeutet.
Gegenwärtig – und noch bis 31. Januar nächsten Jahres – ist Dark Mirror. lateinamerikanische Kunst seit 1968 im Kunstmuseum präsent. Eine Schau, die mit 150 Werken aller Kunstgattungen, Installationen, Objekten, Gemälden, Fotografien, Videos und Papierarbeiten, auf 1100 Quadratmetern Fläche die Vielseitigkeit der Kunst Mittel- und Südamerikas erahnen lässt. „Sie dient uns damit zugleich“, so der neue Museumsdirektor, Dr. Ralf Beil, „als erstes Labor einer globalen Ausrichtung und Sammlungserweiterung“.
Seit Februar leitet Dr. Ralf Beil die Geschicke des Hauses. Bis dahin hatte der 1965 in Kobe (Japan) Geborene neun Jahre lang das Direktorat des Institut Mathildenhöhe Darmstadt inne. “Für mich, als dritten Direktor des Kunstmuseums ist Welterkenntnis durch Kunst und Kultur im weitesten Sinne die zentrale Triebfeder meiner Arbeit“, resümierte er nach 100 Tagen Amtszeit Er sieht das Museum als Bewusstseinsmaschine: „Woher kommen wir – Wo stehen wir – Wohin gehen wir“. Sein Ziel ist ein Museum mit Weitwinkel, das zugleich Mikroperspektiven wahrnehmbar macht und immer wieder die Grenzen zu unser aller Leben überschreitet. „Kunst braucht Raum, um sich zu entfalten, und den wollen und können wir ihr hier im Kunstmuseum Wolfsburg geben“.
Der neue Mann will das komplette Gebäude auf den Prüfstand stellen. „Ob im Leben oder in der Kunst – zentral ist, dass wir mit Veränderungen bei uns selbst beginnen, vor unserer Haustür, in unmittelbarer Umgebung“. Deshalb wird die für Frühjahr 2016 konzipierte Ausstellung Wolfsburg Unlimited heißen. Zahlreiche Künstler sollen die Stadt im Museum und das Museum in der Stadt spiegeln. Im Herbst/Winter 2016 will der Chef mit der Ausstellung This was Tomorrow. Die Erfindung der PopArt in Großbritannien einen mikroskopischen Blick auf das England der Nachkriegszeit werfen und die Ursprünge der westlichen Mediengesellschaft in den 1950er und 1960er Jahren beleuchten. Danach ist, parallel zur documenta 14, die Soloschau eines Gegenwartskünstlers angedacht und im Herbst/Winter 2017 soll „mit Panoramablick und Tiefenschärfe die Weite Amerikas als ebenso mythologische wie geopolitische Konstante“ in den Fokus genommen werden.
Maria Brigitte Hanke